Hausers Zimmer - Roman
wie er mit Weltherrschermiene um den Globus schritt, die Spraydose geschultert, und überlegte, wo er nach seinem Gutdünken größtmöglichen Schaden anrichten konnte. Dann ballerte er wieder los. Halb Südamerika wurde in Olkpink getaucht. Vielleicht wurde seine Kunst immer größenwahnsinniger, je weniger Erfolg er hatte. Als Nächstes könnte er ja den Mond zerschneiden und die Sonne anpinkeln. Möglicherweise spiegelte sich ein Teil dieser Gedanken auf meinem Gesicht, als ich an ihm vorbeilief. Der Olk sah mich aus den Augenwinkeln, grüßte mich aber nicht. Dann eben nicht.
Die Hoftür öffnete sich, und Klaus kam mit zwei Mülltüten in der Hand in meine Richtung. Stumm deutete ich auf die Olkschen Schandtaten. Mein Vater warf mir einen mitfühlenden Blick zu und schnitt eine Grimasse wie ich, wenn ich verdammt schlechte Laune hatte.
Nachts, während ich in die Dunkelheit schaute, musste ich wieder an den Adán und das Schachspiel auf seinem Rücken denken. Einen Gedanken zu verscheuchen war genau so schwierig, wie auf Knopfdruck einschlafen zu wollen.
Am nächsten Morgen weckte mich mein Radio mit Regen in Berlin von Heinz Rudolf Kunze. Passenderweise regnete es gerade. Ich blieb faul im Bett liege n – der Song war kein guter Weckru f – und hörte weiter Kunze zu, der davon sang, wie Panzerwürfel aus den Wolken fielen und keiner Anklage erhob, als sie mit dem Pflaster Toter Mann spielten. Der Radiosprecher unterbrach kurz und sagte, der Song sei Klaus-Jürgen Rattay gewidmet, der genau vor einem Jahr, am 22 . September 1981, bei einer Hausbesetzerdemo gestorben war. Ich erinnerte mich wieder: Das war die Demo gewesen, auf der gegen die Räumung von acht besetzten Häusern protestiert wurd e – seitdem stand Lummerland ist abgebrannt auf der Rattenloch-Brandmauer, und da war der vermummte Klaus-Jürgen Rattay auf die Fahrbahn geraten, von einem Bus der BVG erfasst worden und tödlich verletzt. Kunze sang weiter von Lügen und Unrecht und Gummibären auf dem Gehsteig. Regen in Berlin.
Langsam war mir verdammt kalt. Es war zwar erst September, aber wir mussten schon die Öfen befeuern. Bei der Größe unserer Wohnung war das eine Arbeit, die durchaus eine Schulstunde in Anspruch nehmen konnt e – rechtfertigte ich mich. Ich kümmerte mich heute sogar um Falks Ofen. Mein Bruder war noch nicht aufgestanden.
Als ich Kohlen aus dem Keller holte, begegnete ich dem Hauser. Seit unserem Gespräch, bei dem er so betrunken gewesen war, hatte ich mich nicht mehr mit ihm unterhalten. Er schraubte auf dem Hof wieder an seinem Motorrad herum. Seine Locken fielen ihm dabei ins Gesicht, man sah nur die große Nase. Mittlerweile hatte er sich einen Bart wachsen lassen, der komischerweise nicht braun, sondern eher blond war. Ich überlegte, ob ich ihn fragen sollte, was denn an der Maschine kaputt sei, traute mich aber nicht. So richtig näher waren wir unserer gemeinsamen Patagonienreise bisher nicht gekommen.
Hier ist der Hauser – weiße Leinwände
Ende September herrschte mal wieder Hochstimmung bei The Wiebkes and the Klauses. Klaus war für einen Kritikerpreis vorgeschlagen worden.
»Klaus, wie machst du das nur?« Ich sah ihn an.
Klaus lächelte in sich hinein. »Mich amüsiert deine ernsthafte Überraschung ja imme r … beleidigt bin ich aber nicht.«
Ich runzelte die Stirn. Das war noch keine befriedigende Antwort für mich.
Klaus spürte dies sogleich und fuhr fort: »Weißt du, mit Blick auf viele andere Menschen im Kulturbetrieb bin ich noch ein vergleichsweise angenehmer Neurotiker.«
Ich sah ihn zweifelnd an. »Kann man das selbst am besten beurteilen, Klaus?«
Mein Vater lächelte verschmitzt. Dann sagte er noch etwas ganz anderes: »Ich hab in meinem Leben gelernt, auch aus ’68, dass man immer genau dann Macht und Einfluss erhäl t – oder anders ausgedrückt: dass einem immer genau dann Macht und Einfluss zufällt, wenn man Menschen im übertragenen Sinn verführt und nicht versucht, sie zu vergewaltigen.«
Mit diesen Worten stand er auf und umarmte die eben noch genervte Wiebke sanft von hinten, die sich sofort an ihn lehnte, als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet. Ich betrachtete meinen zarten Vater mit dem Knabengesicht und konnte mir auf einmal sehr gut vorstellen, warum so viele Mensche n – Frauen wie Männe r – ihn anziehend fanden und seine Nähe suchten.
Am nächsten Tag traf ich wieder den Hauser beim Kohlenholen im Hof. Sofort schlug mir das Herz bis in den Hals.
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