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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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schritten auf den Seiteneingang zu. Die gingen bestimmt zum Hauser. Mir fielen ihre dicken Rucksäcke au f – was da wohl drin war?
    Nach dem Abendbrot klingelte Isa und überredete mich, mit ihr und ein paar anderen aus der Klasse ins Kino zu gehen. Kino war in meinen Augen noch die angenehmste Form der Freizeitgestaltung mit Klassenkameraden, da man sich dabei nicht unterhalten musste. Piratensender Powerplay mit Mike Krüger hätte ich mir sparen können, dafür mochte ich das abendliche Schlendern auf dem Ku’damm. Tagsüber wurde er beherrscht von den thatcherartigen Ku’dammladys (nur waren sie meist dicker als die britische Premierministerin) und von Solaretten (wie wir Solariumproletten nannten). Doch abends und nachts kamen alle möglichen Menschen von überall hierher, aus Zehlendorf und Neukölln, Protz- und Prolltum nebeneinander, dicht gedrängt, es war trubelig und laut, auf eine zwar profane, aber auch ergreifende Weise festlich, man musste nicht reden, konnte einfach nur umherschauen, lauschen, für sich und doch dabei sein. Und es gab jede Menge Kinos, gute Kinos, große und kleine, altmodische und neu gestylte: im Europa Center das Capitol , gegenüber Wertheim das Gloria , nahe beim Café Kranzler die Filmbühne Wien , an der Ecke zur Fasanenstraße das Astor und an der Ecke Knesebeckstraße die Lupe 2 . Überall war Licht, alles leuchtete, alles feierte den Alltag, Feierabend eben, nur am Ende des Ku’damms, düster, eine Art Antiherz der Stadt, still in all dem Treiben der wieder aufgebauten Stadt, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, majestätisch, hoch, himmelwärts weisend mit ihren Ruinenspitze n – sie verband die Gegenwart mit der Vergangenheit. Hier das mit Kaugummi und Kinokarten übersäte bunte Pflaster, dort, schwarz wie das Innenfutter von Klaus’ schwerem Wintermantel, der Himmel über West-Berlin.
    Nachdem Isa und ich wieder nach Hause gekommen waren, wartete ich lange am Fenster. Der Hauser kehrte erst um viertel nach zwei zurück. Er legte AC / DC auf, warf sich aufs Bett und schien sofort zu schlafen. Mit Lederjacke und Stiefeln. Ich blickte eine Weile weiter nach schräg unten auf das orange erhellte Fenster. Ich wusste nicht, worauf ich eigentlich wartete.

Libertad – Hoy no me puedo levantar
    Am nächsten Tag in der Schule freute ich mich, Stunde für Stunde, auf den Abend. Zu Hause lag ich auf meinem Matratzenlager, trank Brause, lernte Mondkraternamen auswendig und machte mir Hauser-und-andere-merkwürdige-Leute-Notizen. Das Fenster schräg gegenüber blieb dunkel.
    Nach der Tagesschau stand Falk auf und zog sich mit seinem Zauberwürfel und einem zerfledderten Heft auf sein Hochbett zurüc k – nicht ohne vorher sein Schild von Geöffnet zu Geschlossen gewendet zu habe n –, ich nahm mir den Parka, meine Handschuhe und meine wärmste Pudelmütze, mit der ich laut Klaus wie eine Himbeere auf zwei Beinen aussah, lief »Tschü-hüss« grölend aus der Wohnung und in den Hof. Linkerhand lag der Olk in einem unförmigen Wollmantel rücklings unter einem verrosteten Stummen Diener und versuchte, hier und da alte Badelatschen an ihm zu befestigen, rechterhand hatte sich Herr Kanz, ebenfalls im Wollmantel, zwischen zwei Brüste geklemmt, an denen er herumfeilte. Beide nahmen keine Notiz von mir. Ich bahnte mir den Weg zu meinem Fahrrad. Ich fuhr gern ohne Ziel durch die Gegend, auch wenn es kalt war. Wenn ich späte r – wie all e – arbeitslos sein würde, würde ich Erfinderin werden und ein Patent für Fahrrad-Schneeketten anmelde n, klarer Fall. Es wurde dauernd von Arbeitslosigkeit in den Nachrichten berichtet, zwei Millionen Arbeitslose gab es zurzei t – Höchststand seit Kriegsende! Zwei Millionen. Unvorstellbar. So viele Menschen. Vor mir lief eine Ratte über das Pflaster, sie schien irgendein kleineres Tier mit sich zu schleppen. Hinter ihr folgten zwei weitere Ratten, vielleicht Geleitschutz. Die Ratten waren besser organisiert als wir, ihnen ging die Arbeit nie aus.
    Vor der Freien Volksbühne , die ich auf meinem Nachhauseweg passierte, gab es ein riesiges Gedränge von schwarzgekleideten Menschen, die der Schneeregen nicht zu stören schien. Ich beobachtete eine Frau mit langen knallroten Haaren, die Zigarre rauchte und in ein Gespräch mit einem ebenfalls Zigarre rauchenden Mann mit schulterlangen Haaren und Spitzbart vertieft war. Seine schwarzen Lederhandschuhe hatte er auch beim Rauchen anbehalten. Ich kurvte einmal um sie herum und schnappte etwas

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