Hausers Zimmer - Roman
Heiligenfigur und sehr lange stehen blieb.
Am nächsten Tag nach der Schule saß ich mit Falk kakaotrinkend in der Küche. Irgendwo in der Wohnung hörten wir die Eltern heranrumpeln. Dann drehte Klaus ab, um sich in sein Arbeitszimmer zu verziehen, Wiebkes schwere Schritte näherten sich der Küche.
»Ach, ihr beiden!«, sagte sie nur und ging gleich zum Kühlschrank. Dann räumte sie einige Lebensmittel aus dem Eisfach auf die Anrichte.
»Was meinst du, wieso hat der Hauser eigentlich eine Hawaiitapete mit einem Motorradpärchen drauf?«, fragte ich Wiebke. Wiebke versuchte, den Kühlschrank abzutauen, und schimpfte dabei vor sich hin.
»Ihr habt’s gut, worüber ihr so nachdenken könn t … ihr seid noch jung«, gab sie allen Ernstes von sich und wendete sich dem Eisfach zu.
Falk stöhnte auf, dann leierte er herunter: » Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus. «
»Was soll das jetzt, was heißt das?«, fragte Wiebke genervt.
Falk zuckte die Schultern: »Das weißt du nicht, ich dachte, ihr versteht euch als Bildungsbürger? Dann erteile ich mal Nachhilfe: Freuen wir uns also, solange wir jung sind.« Wiebke gab sich unbeeindruckt.
Ich schlich mich ins Arbeitszimmer zu Klaus, meinem nächsten Opfer. »Wie findest du den Hauser?«, wollte ich von ihm wissen.
»Den Peter Hauser? Manchmal habe ich mich gefragt, ob der einen Puff laufen hat.«
»Was?« Klaus war immer gut für Überraschungen.
»Mich interessiert das ja gar nicht, aber was da Tag und Nacht für Gestalten ein- und ausgehe n … Also auf normalem Wege verdient der nicht sein Geld, und immer diese halbnackten Weiber nacht s … Aber das geht mich nichts an, er soll bloß nicht so schrecklich laut seine Hardrockplatten spielen.«
So eine Weiberbemerkung würde Klaus in Wiebkes Gegenwart nicht machen, aber mit mir redete er, als dächte er laut. Er gab dann oft Erstaunliches von sich, und ich schwieg in mich hinein, um seinen Redestrom auf keinen Fall zu unterbrechen. Nachher, wenn ich im Bett lag, würde ich alles überdenken.
»Was meinst du, wie alt der Hauser ist?«, fragte ich.
Klaus zuckte die Schultern. »Bei solchen Leuten ist das schwer abzuschätzen. Wer säuft, sieht meist älter aus, als er ist, keine Ahnung, vielleicht dreißig.«
Sechzehn Jahre älter als ich.
»Vielleicht auch Mitte zwanzi g – oder jünger. Keine Ahnung, Jule.«
Ich lächelte meinen Vater an: »Trinkst du nicht auch manchmal ganz gern?« Ich hatte das mit sanfter Stimme gefragt.
»Naj a …«, Klaus wurde rot und lachte, »manchmal schon, abends am Schreibtisch oder im Denkzimmer. Aber nicht so, Jule, das kannst du mir glauben, nicht so, dass ic h …«
» … bei einer Mieterversammlung von Frau Hülsenbeck herumtorkele wie der Hauser«, ergänzte ich, und Klaus lachte. Er lachte nicht oft, aber wenn, hatte er etwas von einem Jungen, und die Geräusche, die er machte, klangen direkt niedlich.
»Guckst du dir meine Kakteen an?«, fragte ich leise. Es war nicht so, dass man sich in meiner Familie in den Arm nahm oder Küsschen ga b – wir hatten andere Bräuche.
»Na gut«, Klaus machte eine fahrige Geste durch sein strubbeliges Haar, dann schritt er in den Flur. Es war nicht einfach, ihn aus seinem Reich zu locken, aber manchmal gelang es. Schon erklärte ich ihm, welche Kakteen welche Wachstumssprünge gemacht hatten, und konnte stolz auf eine Knospe deuten. Klaus nickte anerkennend. »Du bist schon richtig eine kleine Spezialistin, was?«
Ich nickt e – selbstverständlich. Doch jetzt kam der große Moment: Ich tippte meinen Vater scheu auf den Jackenärmel, und er fing an, mit zwei Fingern meinen Lieblingskaktus zu streicheln. Er hatte drei Ärmchen und war voller Flauschs. Dann kamen noch mein zweit- und drittliebster Kaktus dran, und über dem Mit-den-Flauschs-Spielen vergaß mein betriebsamer Vater die Zeit und sah ganz versunken aus. Schließlich warf er mir einen stillen, wissenden Blick zu und schlich sich aus meinem Zimmer.
Ich stellte mich wieder ans Fensterbrett: Auf normalem Wege verdient der nicht sein Geld, hatte Klaus gesagt. Während ich noch diesem Gedanken nachhing, öffnete sich die Hoftür, und zwei bärtige Typen in Motorradkluft standen staunend vor Herrn Kanz’ Brüsten. Sie ulkten herum, betatschten sie ein bisschen, setzten sich breitbeinig auf zwei besonders große, einer von ihnen grölte: »Dit is ja’n Tittenparadies hier«, dann bahnten sie sich ihren Weg zwischen den Olkschen und Kanzschen Hinterhofimperien und
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