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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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von »nekrophiler Gegenstandslosigkeit« auf. Nekrophile Gegenstandslosigkeit. Was das wohl bedeutete? Ich drehte ab, radelte über die mit Hundescheiße übersäte Wiese neben der Freien Volksbühne . Nächstes Patent: hundescheißeabweisende Reifen. Auf meinem Rückweg hörte ich, wie ein abseits stehender Theaterbesucher zu einer Frau in schwarzem Lackmantel sagte: »Besser’s Glied steht als im Glied stehen.« Sie kicherten beide und sahen sich übertrieben tief in die Augen. Das Theaterstück schien ja recht unterschiedliche Gedankengänge freizusetzen.
    Ich zwängte mich mit meinem Rad zurück auf den Hof. Herr Kanz und Herr Olk hatten schon fast den ganzen Platz in Beschlag genommen. Da sie ständig etwas umschoben und neu arrangierten, musste man höllisch aufpassen, wenn man im Dunkeln sein Rad abstellen wollte. Ehe man sich versah, hing man in einem Kunstwerk fest. Alles in Berlin wurde weniger, nur die Kunst wucherte. Die Mülltonnen und der Fahrradständer fügten sich nahtlos in die Urbanen Collagen ein.
    Das Motorrad stand auch im Hof, der Hauser war also jetzt wieder zu Hause. Ich hob den Kopf. Warmes Licht fiel in unseren dunklen, von bizarren Schatten erfüllten Hof, der von dem niemals ruhenden Knabbern, Knistern und Kauen der Ratten erfüllt war. Leise Musik wehte mich an. Von oben her hörte ich das Lachen einer Frau, das Fenster öffnete sich, und ich sah nichts weiter als zwei Rücken, darüber eine braune und eine blonde Lockenmähne. Rockermähnen. Zwei Kippen flogen nach unten, direkt vor meine Füße.
    Während das Fenster über mir geschlossen wurde, blickte ich auf die glühenden roten Punkte auf dem Boden, sah zu, wie sie langsam erloschen. Der Anblick machte mich traurig. Einen Moment lang hatte ich gehofft, die beiden Kippen würden den Hof, die grauen Altbauten mit ihren toten schwarzen Augenhöhlen, diese ganze merkwürdige Stadt, diese ganze verdrehte, flirrende, verrückte Welt mit Thatcher und Reagan, mit Honecker und Breschnew in Brand setzen, würden alles, alles mit sich reißen und nach einer Phase kurzer Stille, in der nur das erregte Rascheln der Plastiktüten der Ku’dammladys und das ewige Glucksen aus hin- und herrollenden Flaschen zu hören wäre, die Welt noch einmal neu entstehen lassen. Ohne Melanie, Larissa und Rolf, ohne den halbblinden Herrn Knecht mit seiner Prothese, ohne Urbane Collagen , Gruppensitzordnung und nekrophile Gegenstandslosigkeit, ohne die leere Polizeikanzel, ohne die müden Blicke der blassen Mädchen unter ihr, ohne den verheißungsvoll wehenden bunten Vorhang und Sehnsucht nach der Südsee, ohne Campari auf Tahiti, Bitter-Lemon auf Hawaii, ohne Tote an der Mauer, ohne Reih und Glied und Titten und Tetra-Paks, die man die vielen Treppen hochschleppen musste, um sie dann wieder zu Erwin und Karl nach unten zu bringe n – und ganz sicher ohne diese grauen Gesichter und leeren Kochtöpfe nur zwei Zentimeter entfernt von uns. Im Atlas. Mir wurde kalt, und ich schlappte zurück über das Kunstmüllchaos zum Vorderhaus.
    Ein paar Tage später sagte Klaus beim Frühstück, dass er morgen, am 3 . Februar, zur Eröffnung der Ausstellung Christ o – Projekte in der Stadt 1960-1980 nach Frankfurt fahren werde.
    »Projekte, was heißt das schon, so’n typisches nichtssagendes Wort«, murrte Falk.
    »Projekte ist wirklich blöd«, pflichtete Wiebke bei und streute Leinsamen über ihr Müsli. »Ein alberner Modeausdruck. In zwanzig Jahren wird niemand mehr von ›Projekten‹ reden. Schon gar nicht im Kunst- oder Kulturbereich.«
    »Das ist eine Phase der Wichtigtuerei, jeder meint, seine eigene kleine Tätigkeit als Projekt aufwerten zu müssen«, pflichtete auch Klaus bei. »Ich kann das Wort bald nicht mehr hören.«
    Nach der Schule ging ich mit zu Fiona. Einmal in der Woche ging ich zu ihr, an mehreren anderen Nachmittagen hatte sie Therapiesitzungen. Und das alles nur, oder immer noch, weil sie vor ein paar Jahren eine Serie von Alpträumen gehabt hatte, in denen Anna sich nachts in eine Decke verwandelte, die sie erstickte. Aber Fiona sagte, sie gehe gern in die Therapie, die für sie so etwas wie ein Mal- und Bastelkurs war. Ihr halbes Zimmer hing voll mit in ihren Therapiestunden angefertigten Kunstwerken. Und Anna schickte sie noch einmal die Woche zum Batiken.
    Jetzt stand Anna schon in der Tür und strahlte mich an. »Hallo Jule!« Dann umarmte sie mich. »Schön, dass du da bist!«
    Anna hatte ein einnehmendes Lächeln. Wenn sie sprach,

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