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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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rasselte und klingelte es in einem fort, denn sie trug viel Schmuck. Sie hatte einen gebatikten Wickelrock an, der trotz mehrfachen Gewickels halb durchsichtig war. Anna war groß und schlank, hatte langes, fast schwarzes, glänzendes Haar und große, lebhafte dunkle Augen. Sie legte den Kopf ein wenig schräg und sah mich besonders nett an. »Hilfst du denn Fiona mit dem Briefeschreiben für Amnesty?«
    »Oke e …«
    Anna hatte wohl etwas mehr Enthusiasmus erwartet. »Komm, gib dir einen Ruck. Ich habe auch leckere Kekse für euch, mit Kokosflocken, selbst gemacht!«
    Sie wusste schon, womit sie mich für ihre Arbeit einspannen konnte. Im Gegensatz zu Frau Hülsenbeck, vor der ich mich ein wenig fürchtete, war Anna sehr entgegenkommend. Es gab Yogi-Tee, den wir aus türkisfarbenen Emailletassen mit gelben Halbmonden tranken. Die Milch schäumte Anna mit einem kleinen Elektroquirl au f – solche Gerätschaften hielt Wiebke für luxuriösen, neumodischen Quatsch.
    Dann zückte Anna die neueste Ausgabe der monatlich erscheinenden ai informatione n – sie war Mitglied von Amnesty Internationa l – und schlug die Seite mit den Eilaktionen auf. Als Eilaktionen wurden Briefe an den Präsidenten oder Premier eines Landes bezeichnet, um sich für einen inhaftierten oder verschwundenen Bürger (was oft auf das Gleiche hinauslief) einzusetzen. In den ai informationen wurden immer mehrere Fäll e – sogenannte Gefangene des Monat s – aufgeführt. In dem ersten ging es um einen Gewerkschafter und Textilarbeiter aus Uruguay, der seit Dezember 1977 gefangen gehalten wurde und dessen Leben durch die Haftbedingungen akut gefährdet war . José Pedro Márquez Volonté befand sich im Libertad-Gefängnis, einem militärischen Hochsicherheitsgefängnis für männliche politische Gefangene. Die medizinische Betreuung war dort extrem schlecht, und der Textilarbeiter war Asthmatiker.
    Ich grübelte. Hieß »Libertad« nicht auf deutsch »Freiheit«? Was für ein Zynismus, einem Gefängnis diesen Namen zu geben!
    Der nächste Fall betraf einen zum Tode verurteilten Mann aus Benin. Es handelte sich um den ehemaligen Landwirtschaftsminister, Adrien Anhanhanzo Glele, der seit der »Aufdeckung« eines angeblichen Umsturzversuchs gegen die Regierung von Präsident Mathieu Kérékou im Jahr 1975 unter Todesstrafe stand.
    Anna wollte unbedingt, dass Fiona und ich für jeden einzelnen Inhaftierten oder »Verschwundenen« einen Brief schrieben. Im Grunde erledigten wir ihre Arbeit, denn während wir die Briefe tippten, die vorzugsweise in Englisch oder der jeweiligen Landessprache zu verfassen waren, verzog sich Anna in eines der hinteren Zimmer, hörte Musik, schneiderte, spielte Panflöte oder was auch immer. Manchmal schwebte sie rasselnd und klingelnd zu uns in die Küche, küsste uns überschwänglich und tanzte in ihren Harlekinfilzschuhen auf dem dichten Flokati, den sie überall in der Wohnung ausgelegt hatte, wieder fort.
    Anna sagte oft, wobei sie uns tief in die Augen schaute, dass sie es »wirklich spitze« finde, dass wir uns »gemeinsam mit ihr« für die politischen Häftlinge auf dieser Welt einsetzen würden. Sie gab uns das Gefühl, einer sehr wichtigen Tätigkeit nachzugehen. Einmal meinte sie zu Fiona und mir: »Diese Brief e … das ist eine verantwortungsvolle Aufgab e – da würde ich nicht jeden fragen!«
    Was mich trotz meiner Faulheit doch für die Briefe einnahm, war, dass sie tatsächlich etwas zu bewirken schienen. Anna las uns gern Beiträge aus dem aktuellen Infomagazin vor, in denen stand, dass ein Gefangener nach einer Eilaktion, bei dem ein Präsident Tausende von Briefen erhalten hatte, innerhalb weniger Wochen auf freien Fuß gekommen war. Solche Nachrichten beflügelten Fiona und mich, auch wenn wir manchmal, nachdem wir schon die Schularbeiten gemacht hatten, keine Lust hatten, die Brief e – auch noch auf Englisc h – zu schreiben. Aber wenn ich solche Gedanken hegte, schämte ich mich. Denn schließlich ging es mir gut, wohingegen andere in Gefängnissen gefoltert wurden. Einfach so!
    Außerdem fiel die Arbeit nur einmal im Monat an. Und manchmal brachte Anna uns sogar Baisers mit, die ich besonders gern mochte.
    Den Brief für Adrien Anhanhanzo Glele aus Benin beschlossen Fiona und ich, trotz der Bitte von Amnest y – »nach Möglichkeit in Französisch « – auf Englisch zu schreiben, denn wir hatten erst seit einem halben Jahr Französisch an der Schule. Hoffentlich würde Präsident Kérékou

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