Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
immergleiche Akkorde. Wenn man eine kritische Bemerkung machte, antwortete er nur: Decies repetita placebit (das, meine kleine Schwester, heißt: Zum zehntenmal wiederholt, wird es gefallen).
    Später sahen wir vier wie fast jeden Sonntag in seltener Eintracht Die Sendung mit der Maus . Was in anderen Familien oder zu anderen Zeiten der gemeinsame Kirchenbesuch war, bedeutete diese halbe Stunde mit der ARD für uns. Stets pünktlich fanden wir uns in der zentralen Kathedrale unserer Riesenwohnung, im vierzig Quadratmeter großen Berliner Zimmer mit seinen gigantisch hohen Wänden und Fenstern vor dem Fernseher ein. Oft war es dort kalt, da dieser Raum ob seiner schieren Größe kaum beheizbar war, aber das störte uns nicht. Als Hostien dienten Toastbrote mit Nutella, die Klaus servierte und die wir alle vier mit einem feierlichen Gesichtsausdruck, in stummer Maus -Gemeinschaft, aßen.
    Die Sendung begann mit einer Melodie, die wir Fans auswendig mitsingen oder -summen konnten. Die nächste halbe Stunde erfuhren wir Lebenspraktisches und Absurdes, lachten und schüttelten den Kopf, wurden auf Phantasiereisen und auf Reisen in den deutschen Alltag zwischen Streichholzproduktion und Murmelspiel mitgenommen. Klaus attestierte der Maus und dem Elefanten sogar voller Anerkennung einen »philosophischen Humor«. Nach dieser halben Stunde gingen wir glücklich und erfüllt auseinander.
    Als ich einmal auf einer Klassenfete (zu der, weil sie von »oben« organisiert war, alle eingeladen waren) sagte, dass ich nicht zu spät nach Hause gehen wolle, um am nächsten Tag nicht Die Sendung mit der Maus zu verpassen, lachten mich alle aus. Ich hatte nicht verstanden, wieso. Schließlich sahen doch auch Erwachsene Die Sendung mit der Maus . Später sollte ich erfahren, dass das Durchschnittsalter der Zuschauer dieser Sendung über Jahrzehnte konstant bei neununddreißig Jahren lag.
    Falk mochte die Sendung auch, weniger wegen der Trickfilme als wegen der Sachbeiträge. Klaus fand Maus und Elefant als »Kunstfiguren« gut, »so schlicht gezeichnet, aber von der Optik her einfach sehr schön« und »viel besser als Superman«. Wiebke fand die Sendung »lehrreich« und rief ständig: »Hört mal zu! Merkt euch das!« Egal, was wir jeweils an der Maus gut fanden, es war die einzige Fernsehsendung, auf die wir vier uns einigen konnte n – abgesehen von der Tagesschau , die nicht zur Disposition stand, sondern Grundgesetz war.
    Bei der Tagesschau beobachteten Falk und ich wie immer Klaus’ Mimik. Heute versuchte er sich an der Honecker-Spitzmaus, da musste er noch üben. Auch Breschnew war ausbaufähig, Reagans Siegerlächeln gelang ihm, doch nach dieser Grimasse wirkte Klaus immer ein wenig angestrengt. Ich fragte mich, wie Reagan dieses Gesicht dauernd durchhalten konnte. Merkwürdige Permafrostmimik.
    Nur beim Hauser schaffte Klaus es nie, sich anzupassen. Klaus, der sich in alle und alles hineinfühlen konnte und den ich schon in äußerst merkwürdigen Zwiegesprächen mit Tonscherben, Drähten, Schrauben, Wollknäueln, unbeschriebenem Papier und monochromen Bildern erlebt hatte, kapitulierte beim Hauser.
    »Wahrscheinlich will ich mich in den nicht hineindenken«, sagte er einmal.
    Nach der heutigen Tagesschau kam Herr Wiedemann vorbei, mit dem Klaus sich prächtig verstand; sie tauschten immer den neuesten Kulturtratsch aus. Herr Wiedemann trug einen enganliegenden türkisen Lederanzug mit gelbem Revers und ein türkis-gelbgestreiftes Käppchen auf seinem kinnlangen grauen Haar.
    Später, als ich nicht schlafen konnte, schlich ich mich aus der Wohnung. Falk hörte mich nicht, seine Zimmertür war den ganzen Abend über nicht aufgegangen. Das Geschlossen -Schild schien er gar nicht mehr umzudrehen. Jule unerwünscht. Wiebke und Klaus schliefen am anderen Ende unserer Wohnung. Ich hätte jede Nacht die Urschreitherapie machen können, sie hätten mich nicht gehört. Im Treppenhaus ließ ich hingegen das Licht aus, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber auch hier musste ich keine Angst haben, gehört zu werden. Berlin war nie leise, auch nicht unter der Woche um ein Uhr nachts. Im Mottenmuseum wurde gefeiert; irgendein Alois war vierzig geworden. Das Happy Birthday klang ziemlich gelallt. Aus der Rumbar kamen mir zwei Männer entgegen, einer mit offenem Hosenstall. Sie beachteten mich nicht weiter. Ich setzte mich auf ein Mäuerchen am Fasanenplatz, kaute Kaugummi, guckte in den Himmel, schaute den Tauben zu. Wann sie wohl

Weitere Kostenlose Bücher