Hausers Zimmer - Roman
sein, nach so vielen Schulstunde n …«, murmelte Isa und zog sich einen Stuhl heran.
Sena zuckte die Achseln. »Du gewöhnst dich«, sagte sie mit schwachem Lächeln. Wie man es aushielt, nach sechs Stunden deutschem Schulunterricht noch abends türkischen oder griechischen Unterricht über sich ergehen zu lassen, würde mir ein Rätsel bleiben. Die beiden mussten auch noch für beide Schulen Hausarbeiten erledigen und waren obendrein gut im Unterricht.
Heute paukte Pepita die binomischen Formeln mit uns und erklärte die linearen Gleichungen und Tangentenberechnungen. Mir lag auf der Zunge zu sagen: »Das kannst du echt super, klar, die Griechen haben ja schon immer geniale Mathematiker hervorgebracht.« Aber ich verkniff mir die Bemerkung. Denn ich hörte schon im Hinterkopf Wiebkes Kommentar: »Julika, das ist die gleiche Form von positivem Rassismus, wie über Schwarze zu sagen, sie seien alle so musikalisch und so sportlich!«
Vielleicht hatte Wiebke Rech t – aber vielleicht hätte sich Pepita, die zehn Stunden Unterricht am Tag hatte und oft etwas erschöpft wirkte, doch über ein Kompliment gefreut.
Das Klappern der Schreibmaschine meines Vaters hörte ich diese Nacht trotz der neuen Ohropax. Er benutzte lieber seine alte mechanische, obwohl es schicke elektrische gab. Aber die fand er unästhetisch. Dafür war die mechanische lauter. Ich hörte dem Geklapper eine Weile lang zu. Von Schlafen konnte nicht die Rede sein. Schließlich sprang ich auf und klopfte an Klaus’ Tür. Er lächelte mich an, und ich durfte mich auf den mit wilden lilafarbenen und grünen Ornamenten verzierten Stuhl in seinem Arbeitszimmer setzen.
»Klaus, ich würde gern mal in ein Land fahren, in dem es Palmen gibt«, begann ich.
Klaus grinste: »Da brauchst du doch nur bei uns in den Hinterhof zu schauen.«
»Keine Ausreden. Warum fahren wir nie in den Süden, irgendwo an den Strand?«
»Julika, wir interessieren uns eben eher für Kunst als für’s Strandlebe n …«
»Wieso eigentlich? Du hast immer gesagt, deine alten Professoren seien so lebensfern gewesen, trocken hast du gesagt. Jetzt bist du selber so. Warum sitzt du nur in deinem Denkraum rum?«
»Tue ich doch gar nicht. Wir sind doch dauernd unterwegs. Julika, weißt du, als Wiebke und ich nach Berlin kamen, hatten wir andere Vorstellungen davon, wie man arbeiten sollte, wie Leben und Arbeit miteinander verschmelzen könnten. Aber das ist ja schon einige Jahre he r – als wir damals von Westdeutschland nach Berli n …«
»Restdeutschland.«
»Jule, das war doch damals nur ein Scher z – bitte erzähl nicht überall, dein Vater nennt Westdeutschland Res t …«
»Schon gut, auf der Mauer auf der Lauer liegt ’ne kleine Wanz e …«
»Was soll denn das jetzt?«
»Ich hab mal kurz Kunst gemacht.«
Klaus lächelte mich spitzbübisch an. Dann fuhr er fort: »Für Wiebke und mich ist es ein großer Schritt gewesen, die totale Politisierung des Alltags wieder abzulegen. Welche Rolle hatte Kunst da noch? Sie galt als bourgeois, als Schöngeisterei des Klassenfeinds. Und gehörte ganz in den Dienst der Arbeiter gestellt. ›Das Bild muss die Funktion der Kartoffel übernehmen‹, sagte Immendorff. ›Muss nicht schön, muss nahrhaft sein.‹ Und das habe ich eben irgendwann nicht mehr geglaubt. Im Übrigen: Es gibt ja auch Nahrung für den Geist.«
Ich blickte meinen Vater bewundernd an. Der nutzte die seltene Gelegenheit und holte einen Katalog. »Guck mal, ist das nicht großartig?«
Klaus blätterte wild umher, dann zeigte er mir mehrere Abbildungen von weißen Quadraten und Rechtecken auf weißem Grund. Erwartungsvoll studierte er mein Gesicht. Ich zuckte die Schultern. Dann deutete ich aus dem Fenster über den Hof. »Guck mal, siehst du das orangefarbene Rechteck da? Das da leuchtet? Nein, nein, doch nicht das Blinken von den Pechs! Da unte n … das ist für mich das schönste abstrakte Kunstwer k – es kann sich sogar verändern. Orange, dunkel, orange, dann da, ganz gegenständlich, Figuren, die sich darin bewege n … Dieses Kunstwerk kann ich mir am längsten anschauen!«
Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging zurück in mein Zimmer. Und Klaus schlich mit dem Katalog unterm Arm in sein kahles Denkzimme r – seine Art von Palmenland.
Spinnweben – Häuserkampf
Morgens trottete ich wieder hinter Isa und Fiona hinterher. Herr Adán arbeitete nicht jeden Tag in der Apotheke, oder ich sah ihn nicht immer. Irgendwann musste ich ihn fragen,
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