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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Neue Heimat war ja gewerkschaftseigen.
    Als wir später beim Abendessen das Radio einschalteten, ging es auch um die Neue Heimat. Es hieß, die Vorgänge erschütterten das Vertrauen der Bevölkerung in die Gemeinwirtschaft.
    Schon begann Klaus zu lamentieren: »Solche Skandale sind die Folge eines rigorosen Egoismus! Es gibt heute kaum noch solides soziales Denken, so etwas wie Gemeinsinn, Öffentlichkeit. Jeder denkt nur noch an sich, lebt seinen Individualismus aus, das fängt schon im Bus an, niemand möchte neben einem anderen sitzen. «
    »Wie schön, dass du da so anders bist«, murmelte Falk und setzte seine Kopfhörer auf.
    Als ich nach dem Abendessen zum Töpferkurs ging, entdeckte ich auf dem Weg dorthin einen neuen Spruch an einer Brandmauer: Je höher die Baulöwen ihre Häuser errichten, desto schwerer fällt es den Politikern, ihnen aufs Dach zu steigen. Den hatte es letzte Woche noch nicht gegeben.
    Später saß ich bei Falk auf dem Hochbett. Er hörte Musik und »hatte nichts dagegen«, wie er sagte, wenn ich auch dort herumsaß. Aber sich mit mir zu unterhalten? Weit gefehlt. Ich sah mich um. Von Falks Frisur und Kleidung konnte man falsche Rückschlüsse ziehe n – er war sehr ordentlich. Auf seinem Hochbett lagen ungefähr zehn große schwarze Kissen. Seufzend hob er ein langes blondes Haar hoch. Es war wohl von mir, denn er hielt das Corpus delicti jetzt dicht vor meine Augen: »Jul e …«
    Zu Falks Füßen lag ein aufgeschlagenes Buch mit Blankoseiten. Die Seiten waren eng beschrieben. Führte mein Bruder Tagebuch? Hatte er vielleicht wegen seines Liebeskummers um Frau Dretzel im vergangenen Jahr angefangen, seine Gedanken zu Papier zu bringen? Ich machte Stielaugen. Falk bemerkte meinen Blick: »Ich habe begonnen, ein Buch zu schreiben: Kleine Philosophie des Rauchens .«
    »Kann man denn so viel darüber schreiben?«, fragte ich, während Falk elegant bläuliche Rauchkringel ausstieß und ihnen nicht ohne Stolz nachblickte.
    »Was für eine Frage! Rauchen ist eine existenzielle Angelegenheit, keine banale Freizeitbeschäftigun g …«
    »Ich schreib dann mal eine Kleine Philosophie der Brause .«
    Falk blickte sofort in Richtung Leiter. »Jule, ich will jetzt meine Ruhe haben.« Er drehte Patti Smith lauter.
    »Was soll das? Warum so abwertend? Das Leben begann mit einem Brausen in der Ursupp e …«
    Mein Bruder machte scheuchende Bewegungen mit den Händen.
    Als Isa, Fiona und ich am nächsten Morgen an der Apotheke vorbeigingen, erspähte ich Herrn Adán, der gerade Herrn Wiedemann ein Inhaliergerät vorführte. Ich erinnerte mich, dass unser Nachbar Asthmatiker wa r – was ihn nicht vom Zigarillorauchen abhielt. Herr Wiedemann trug heute einen kanariengelben Anzug mit roten Streifen und passender Fliege.
    »Ac h … ich könnte Traubenzucker brauchen!«, sagte ich zu meinen Freundinnen. Fiona und Isa lächelten sich süffisant an, ich ging zurück zur Apotheke, grüßte Herrn Wiedemann, der mir mit dem schweren Gerät entgegenkam (nachher würde er wegen der Schlepperei in seine Dachwohnung keine Luft mehr bekommen, überlegte ich), und wie immer erklang die melancholische Melodie.
    Als ich eintrat, beriet Herr Adán gerade Frau Schwundtke, die ein »Antistressmittel« kaufen wollte. »Dieses Beruhigungsmittel hier ist, sagen wir ma l – gegen ein bisschen nervende Nachbarn, dieses hie r …« Leider verstand ich den nächsten seltsamen Vergleich nicht, aber dann folgte: »Und bei diesem können Sie auch die frechsten Schüler souverän ignoriere n …«
    Frau Schwundtke entschied sich für das letztgenannte Mittel und nahm gleich eine Pille. Nun wollte Frau Söylesin, die Mutter von Serife und Filiz, ein Mittel gegen Haarausfall kaufen: » … von dafür viel zu jungem Mann.«
    Ich war dran. Ich grüßte die Schwundtke noch, die mich aber ignoriert e – das Mittel schien ja schnell zu wirken.
    Vor dem Ständer mit den Traubenzuckerröllchen konnte ich mich nicht gleich entscheiden. Mandarine, Brombeere oder Kiwi? Der Adán wartete geduldig, obwohl die Apotheke sich hinter mir füllte. Dann wählte ich Brombeere. Herr Adán nahm meine Groschen entgegen und lächelte breit. Schnell wagte ich zu fragen: »Adá n … ist das ein spanischer Name?«
    »J a … ich komme aus Südamerika, aus Chile.«
    »Chil e – und von woher dort?«
    »Aus dem Süde n … «
    »Aus Patagonien?«
    »Ja! Das kennen Sie? Sie sind eine erstaunlich gut informierte junge Fra u …«
    »West-Patagonien gehört

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