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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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dann auf zwei großen Kastanienblättern ruhen. Weil die Mülltonnen übervoll waren, hatte Herr Pech seinen Abfalleimer einfach neben den Tonnen ausgeleert. Und so wie es aussah, hatte Waldemar sein Geschäft auch dort erledigt.
    Aus Lust und Laune schaute ich noch beim Rattenloch vorbei. Schnell schob ich mich durch die schmale Öffnung zwischen den Holzlatten. Überall lagen regennasse Kartons. Ich sprang von einer aufgeweichten Pappe zur nächsten wie von Insel zu Insel. Auf einem Haufen leerer Schultheiß-Flaschen lag ein Pornoheft, das ich mir einen Moment lang anschaute. Ich hatte doch Recht gehabt: Herr Seeger sah aus wie ein Pornodarsteller.
    Eine Weile saß ich auf einem Autoreifen und schaute in den brandmauerumzäunten Himmel, sah den Wolken nach, die immer so eilig über Berlin hinwegzogen. Erst ließ ich meine Gedanken schweifen, dachte an den Adán, den Hauser, an meine blöden Mitschüler, an die großartige Maus und den Kleinen Elefanten und den Kobold vom Grips -Theater, aber irgendwann dachte ich an gar nichts mehr. Ich sah nur noch die Tauben, die auf dem Unrat um mich herum wie Statuen standen.
    Das Rattenloch hatte eine besondere Anziehungskraft, es zog einen hinein, innen vergaß man die Zeit und ein bisschen auch, wer man war. Immer fiel es mir schwer, es wieder zu verlassen.
    Als ich mich durch den Bretterzaun nach draußen schob, stand mir ein kleines türkisches Mädchen mit Flicken auf den Knien ihrer gemusterten Stoffhose gegenüber. Erwartungsvoll sah es mich an. Ich überlegte einen Moment, dann ging ich zurück und zog eine Barbiepuppe aus einem Haufen Plastikmüll. Evet, eve t … An dem Lächeln erkannte ich, dass ich richtig gehandelt hatte. Tesekkürler, Tesekkürle r …
    Als ich nach Hause kam, fing Wiebke mich gleich im ersten Flur ab: »Jule, hilfst du mir, die Wohnung zu putzen!«
    Ich sah meine Mutter genervt an. »Nicht den ganzen Nachmitta g …«
    »Nein, das schaffen wir sowieso nicht, es geht nur darum, mal anzufangen.«
    »Morgen dann wieder oder wie?«
    »Nein, wir gucken mal, wie weit wir komme n … «
    Ich blickte zu den Spinnweben an der Decke. Hoffentlich war Wiebke nicht auf den Putztrip gekommen. Normalerweise verließ der Elan, die Wohnung zu putzen, meine Mutter angesichts der schier unmöglichen Aufgabe genauso rasch, wie er gekommen war. Das Einzige, was Wiebke und Klaus regelmäßig machten, war Kunstwerke abstauben. Das nahmen sie sehr ernst. So wie Fred gepflegter als Frau Koderitz aussah, waren unsere Kunstwerke sauberer als unsere ganze Wohnung. Meine Eltern wären sicher der Ansicht, so etwas ließe sich nicht vergleichen.
    Nachdem Wiebke und ich zwei Flure und dreieinhalb Zimmer gestaubsaugt hatten (mitten beim Staubsaugen im vierten Zimmer sagte Wiebke: »Mir reicht’s jetzt!«, und stellte den Staubsauger ab), stand ich an der Fensterbank und öffnete eine Tüte Gummibärchen. Schon kam der Hauser, nur mit einem Handtuch um die Hüften in sein Zimmer. Sehnsüchtig sah ich auf den halbnackten Mann vor dem hawaiianischen Abendhimmel. Im Hof wurde es dunkler, der Himmel hatte sich zugezogen, Regen klatschte an meine Scheibe.
    Der Hauser sah sich um, öffnete eine Bierflasche, schlenderte ans Fenster und blickte über den Hof. Dann bückte er sich, hob etwas vom Boden auf und krakelte Freiheit für Gummibärche n – weg mit den Tüten auf die Hawaiitapete hinter seinem Bett. Ob er wusste, dass ich ihn beobachtete? Konnte er mich denn von da unten sehen? Die Weihnachtsdekoration der Pechs flackerte immer noch.
    Klaus lag in seinem riesigen Lieblingssessel und las im Spiegel . Der Sessel war weniger ein Sessel als eine unförmige schwarzweiße Dubuffetartige Textillandschaft, die Klaus in einem Schöneberger Hinterhof von einem Künstler gekauft hatte. Oma Helene lehnte das Möbelstück kategorisch ab, nachdem sie einmal von ihm heruntergefallen war, und auch ich scheute es eher.
    Wiebke hingegen legte sich jetzt mit sichtbarem Behagen neben Klaus, und es sah aus, als würden sich ihre Rundungen nahtlos in das merkwürdige Möbel einfügen. Klaus tätschelte ihre Schulter und fasste für sie zusammen, was er gerade gelesen hatte: Der Spiegel hatte Vorwürfe gegen die Neue Heimat, Europas größten Wohnungsbaukonzern, erhoben: Der Vorstandsvorsitzende Albert Vietor und zwei Vorstandskollegen sollten sich unter Missbrauch ihrer Stellung persönlich bereichert haben.
    Klaus ereiferte sich: »Und solche Leute haben etwas mit der Gewerkschaft am Hut!« Die

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