Haut aus Seide
hoffte, dass die Schuldgefühle ihr nicht allzu deutlich ins Gesicht geschrieben standen. »Bin schon auf dem Weg.«
Nita starrte sie an. »Was ist denn los? Du bist ja ganz rot im Gesicht.«
»Ich habe nur das Hinterzimmer gesaugt. Falls eine wichtige Kundin kommt.«
Nita sah sie mit mütterlichem Blick an. »Ich mach mir langsam Sorgen um dich, chica . Du arbeitest zu viel.«
»Sag das nicht.« Lela nahm Nita beim Arm. »Ein bisschen
zu viel ist genau das Richtige. Man weiß nie, wohin dieser Job einen noch führt. Und man weiß nie, welcher Kunde dein nächster Chef sein könnte.«
Nita rollte die Augen.
»Ist wirklich so«, beharrte Lela und dachte an ihre letzte Sozialarbeiterin, Miss Thompson. Sie war es gewesen, die Lela gedrängt hatte, aufs College zu gehen. Eine der wenigen, der Lela immer zugehört hatte. »Deine Zukunft schaffst du dir heute. Ich weiß, im Moment klingt das albern. Du glaubst, du wirst rumhängen, dich ein bisschen amüsieren und so wenig wie möglich tun, bis sich irgendwas Großartiges ergibt. Aber Tatsache ist nun mal, dass großartige Dinge im Leben viel eher zu einem kommen, wenn man früh genug für eine entsprechende Basis sorgt. Du willst schließlich nicht mit dreißig aufwachen und feststellen, dass du immer noch auf den Start deiner Karriere wartest.«
Nita starrte Lela an, als hätte sie den Verstand verloren, und strich sich das glatte, dunkle Haar mit langen, vor Glitter glänzenden Fingernägeln hinters Ohr.
»Kleines«, sagte sie, »du musst mehr ausgehen.«
Lela seufzte resigniert, während sie ihrer Kollegin in den Verkaufsraum folgte. Dasselbe hatte sie damals auch über Miss Thompson gedacht. In den Pflegefamilien – besonders dort, wo mehrere Kinder untergebracht waren – wurde man ignoriert, wenn man schön brav war. Sie schüttelte den Kopf. Wie sollte sie eine Filiale leiten können, wenn es ihr nicht mal gelang, den Angestellten wenigstens ansatzweise ein gewisses Verantwortungsbewusstsein nahezubringen? Das schien jedenfalls keine Fähigkeit zu sein, die sie sich binnen eines Monats aneignen konnte. Ihre eigene Lebenserfahrung hatte sie
lediglich darauf vorbereitet, Lektionen anzunehmen, und nicht, sie zu erteilen.
Verdammt! , dachte sie. Wenn es doch nur einen Crash-Kurs gäbe, bei dem sie lernen konnte, wie man eine richtige Chefin wird. Als sie an die Visitenkarte in ihrer schwitzigen Hand dachte, verlangsamten sich ihre Schritte ein wenig. Wer wäre wohl besser als Lehrmeister geeignet als jemand, der mit jeder Pore Autorität abstrahlte?
Lela betrachtete das leicht zerknüllte, elfenbeinfarbene Kärtchen:
SIMON GRAVES
GESCHÄFTSFÜHRER GRAVES INC.
Moment mal! Simon Graves. War das nicht Andrews Chef? Der Mann, dessen Wirbelsäule angeblich nur durch sie dazu gebracht werden konnte, sich zu entspannen? Andrew musste die Sache wohl selbst in die Hand genommen haben, nachdem Lela es abgelehnt hatte, sich mit Mr. Graves zu treffen.
»Mistkerl!«, murmelte sie, grinste aber, als sie den Verkaufsraum betrat.
Lela ignorierte die diffusen Warnzeichen in ihrem Kopf, die ihr sagten, dass Simon trotzdem immer noch genauso gefährlich war. Das Ganze war eindeutig Schicksal. Sie brauchte einen Mentor. Und genau der war eben auf der Bildfläche erschienen.
Es wäre völlig idiotisch von ihr, Simon nicht anzurufen.
Sie rief nicht an. Und Simon litt den ganzen Nachmittag. Er wusste, wie dumm es war, so bald mit einem Lebenszeichen
von ihr zu rechnen. Zum einen war sie noch bei der Arbeit und zum anderen ganz gewiss nicht die Art Frau, die sofort sprang, wenn man nur hopp sagte. Das Problem war, dass auf der Karte, die er ihr gegeben hatte, nur seine Geschäftsnummer stand. Wenn sie also nicht vor sechs Uhr anrief, würde er auf jeden Fall die Nacht allein verbringen.
Und jetzt hatte er gleich auch noch eine Sitzung mit Andrew und den Leuten aus der Finanzabteilung.
Der monotone Singsang des stellvertretenden Leiters der Finanzabteilung schwappte über Simon hinweg. Er versuchte gar nicht erst, sich zu konzentrieren, sondern griff ungeachtet Andrews hochgezogener Augenbrauen zum Telefon des Konferenzraumes, um Mrs. Winters zu kontaktieren. Er unterbrach ihre Begrüßungsformel, noch bevor sie zu Ende sprechen konnte.
»Hat jemand für mich angerufen?«, fragte er.
»Nein, Sir«, antwortete seine Sekretärin mit leicht zitternder Stimme.
Verdammt, wie er das hasste. Er war doch kein Menschenfresser.
»Also, wenn ein Anruf von Miss …« Simon
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