Haut, so weiß wie Schnee
versprochen, dass er Jonah und dem Mädchen nichts tun würde und dass er sie schnell wieder freiließe.
»Der blonde Gangster hat übrigens gestanden«, fuhr Klara schließlich fort. »Er sagt, er habe seine Befehle von Wim Tanner erhalten. Dr. Saalfeld ist also wieder mal fein raus. Außerdem sucht die Polizei noch den Mann, der die Hebebühne bedient hat. Aber der Blonde sagt, er habe ihn nicht gekannt. Ansonsten habe ich noch jede Menge Kleinigkeiten.« Bei dem letzten Satz hatte sie fragend ihre Stimme gehoben.
»Sag schon«, forderte Charlie sie auf.
»Als ich beim Kommissar drin war, ist fast pausenlos die Tür aufgegangen, und irgendwelche Beamten haben von ihren ›Ermittlungserfolgen‹ berichtet.« Klara raschelte mit ihren Notizen. »Sie haben die Mutter gefunden, deren Kinderwagen ich auf die Straße gestoßen habe, als wir Wim Tanner verfolgt haben, um uns Jettes Blut wiederzuholen. Außerdem wissen sie inzwischen, bei welcher Mietwagenfirma er sich das Auto besorgt hat. Sie haben herausgefunden, wo Wim Tanner die Infobriefe für die Knochenmarkspende gedruckt hat. Sie haben das Mädchen gefunden, das Jette mit dem Roller ins Stadion gefahren hat. Außerdem haben sich die beiden Fußballfans gemeldet. Dann gibt es Kontakt zu einer Frau vom Jugendamt, mit der Jonah telefoniert hat. Sie entschuldigt sich, dass sie damals nicht weiterhelfen konnte. Jettes Daten waren bei der Umstellung auf Computer verloren gegangen. Außerdem hat die Polizei Blutproben imAuto von dieser Carmen gefunden. Das sind die, die Jonah da versteckt hat …«
Was für ein Wust von unbedeutenden Kleinigkeiten! Jonah schnürte es die Kehle zu. Von einer richtigen Spur schienen die Beamten meilenweit entfernt zu sein. Die Polizei hatte schon einmal versagt, als sie ihn und Jette im Affenhaus hätte suchen sollen. Und sie schienen aus ihren Fehlern nichts gelernt zu haben.
Der Polizeipräsident hatte direkt nach Jonahs Aussage eine Pressekonferenz einberufen und von »mehreren Hundertschaften junger Beamter«, »diversen Hundestaffeln« und »erfahrenen Polizeipsychologen« gesprochen, die alle zur Suche herangezogen würden. Es sei eigens eine »Soko Affenhaus« gegründet worden. Meine Güte, hatte Jonah gedacht, warum nicht gleich »Soko Tollhaus«? Der alte Kommissar war »wegen krasser Fehleinschätzung«, wie es in einem internen Papier der Polizei hieß, mit dem Klara eines Tages bei ihnen aufgetaucht war, von dem Fall abgezogen worden.
Als Klara mit ihrem Bericht fertig war, blieb es eine Weile still im Raum. Dann sagte Jonah: »Vielleicht ist Dukie ja tatsächlich auf etwas Wichtiges gestoßen.« Er versuchte, optimistisch zu klingen. »Wir brauchen eine Strategie«, murmelte er. »Einen Plan.« Wenn sie nur genauer wüssten, was eigentlich vor sich ging! Vor ein paar Tagen war nachts das prächtige Glasdach der Villa eingestürzt. Einfach so. Obwohl Jonah sich fragte, ob es wirklich einfach so eingestürzt war. Auch das hatte Klara von der Polizei erfahren. Die Beamten hatten in der Nacht einen Blick auf das Grundstück geworfen, waren aber wieder abgerückt, weil sie nichts Ungewöhnliches entdeckt hatten. Dukie war auch noch einmal vor Ort gewesen und hatte sich alles genau angeschaut. Auch er hatte nichts gefunden, was irgendwie auf Jette hingewiesen hätte. Sein Vater war nicht da gewesen, und den einzigenMenschen, den er gesehen hatte, war der neue Gärtner, der in einer fernen Ecke des Gartens Unkraut zupfte.
Die Tür ging auf. Tee- und Kaffeegeruch zogen in das Zimmer. Anna kam herein. Ihren leichtfüßigen Schritten nach zu urteilen, hätte Jonah auf eine Achtzehnjährige getippt. Die alte Frau stellte ein Tablett mit duftenden Croissants vor ihm ab. Außerdem gab es Süßigkeiten. Für jeden das, was er am liebsten aß. »Kommt ihr zurecht?«, fragte Anna. Sie nickten. Jonah nahm sich ein Brausebonbon. Wie immer lagen die Bonbons rechts unten auf dem Tablett. Charlie riss das Papier ihres Eises auf. Sie aß zu jeder Tages- und Nachtzeit am liebsten Eis. Für Klara waren sicher Karamellbonbons dabei. Und für Dukie Lakritzfische.
Für Anna war es eine Frage der Persönlichkeit, welche Süßigkeit man am liebsten aß. Entsprechend umsichtig versorgte sie sie. Am Anfang hatten sie es noch komisch gefunden, sich den Bauch vollzuschlagen, während Jette gefangen war. Aber dann hatte Klara kategorisch erklärt: »Man kann Süßigkeiten essen und arbeiten.« Und dabei war es geblieben. Zudem hätten sie sich sowieso
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