Haut, so weiß wie Schnee
war bloß die Kopflampe? Rechts von ihr hörte sie ein leises Piepsen. Die Mäusebabys. Sie hatte sie gestern hier gefunden und ihnen mit einem Handtuch auf ihrer Matratze ein Nest gebaut. Jette sah es als einen Freundschaftsbeweis an, dass die Mäusemutter ihr die fünf Mäusekinder ins Bett gelegt hatte. Jette hatte die Mäusemutter Niko getauft. Sie war eine kleine braune Wühlmaus, die ihr vor ein paar Tagen vorsichtig die Hand geleckt hatte, als sie wieder einmal reglos auf der Matratze vor sich hin gedämmert hatte. Jette hatte begonnen, sie zu füttern. Das Tier fraß alles. Brot, Reis, Zwieback. Was sie eben hier unten hatte. Behutsam strich Jette über die dünnen nackten Körper im Nest. Wie warm sie waren. Die Mäusemutter war wahrscheinlich irgendwo in ihrem weit verzweigten Gangsystem unter der Erde unterwegs. Vor zwei Tagen war sie mit einem Stück Mohrrübe im Maul aufgetaucht und hatte es auf die Matratze gelegt. Gemüse aus einem Garten: Nikos Gänge führten in die Freiheit.
Die Lampe lag neben dem Mäusenest. Jette schaltete sie an. Die Umrisse ihres Gefängnisses traten schemenhaft aus der Dunkelheit hervor. Sie befand sich in einem Erdloch, anders konnte man es nicht nennen. Es war ein Loch mit einem Erdboden und Erdwänden. In jeder Ecke stand ein Betonpfeiler, und auf diesen Pfeilern ruhte eine Decke aus Beton, die das Mädchen davor schützte, von herabstürzender Erde verschüttet zu werden. Der gesamte Raum war nur wenige Quadratmeter groß, ein Loch unter Tage, das ein Bagger geschaufelt hatte. Drei Dinge hatte Jette zur Verfügung: einen Lattenrost mit Matratze, die verhasste Campingtoilette und seit gestern einen kleinen Tisch. Wenn Jette sich auf die Zehenspitzen stellte und die Arme hob, konnte sie die Decke berühren. In der Mitte der Decke gab es eine große Luke. Aber sie wurde selten geöffnet.
Jette blickte auf die Armbanduhr. Es war kurz nach sieben. Draußen war es sicher schon hell. Jedes Mal, wenn sie auf die Uhr schaute, hoffte sie, dass sie noch funktionierte; bislang hielt die Batterie zum Glück.
Die Uhr hatte ein Ziffernblatt mit Zahlen von eins bis zwölf. Bisher hatte Jette die Abendstunden noch nicht mit den Morgenstunden verwechselt – soweit sie das einschätzen konnte. Sie versuchte, im Rhythmus zu bleiben und nur nachts zu schlafen. Die gemeinsame Zeitrechnung erschien ihr als die einzige Verbindung zu den Menschen draußen. Ansonsten fühlte sie sich von der restlichen Welt völlig abgeschnitten.
Sie fror erbärmlich, aber mehr zum Anziehen hatte sie nicht. Wim Tanner hatte ihr ein paar Sachen mitgebracht: ein T-Shirt, einen Pullover und eine Strumpfhose. Aber keine richtige lange Hose. Sie trug immer noch den Hosenrock, den sie schon im Tropenhaus angehabt hatte. Jette zog sich die Decke über den Kopf, um es etwas wärmer zu haben.
Die Kopflampe leuchtete die Betthöhle hell aus. Unter der Matratze spürte sie die harte Form der Schatulle. Sie hatte sie bei der Flucht aus dem Treppenhaus mitgenommen und hier versteckt. Es war eigentlich ein Wunder, dass Wim Tanner das Kästchen nicht gefunden hatte. Sie hatte es sich mit einem Stück Stoff um den Bauch gebunden, bevor sie den Fluchtversuch durch das Glasdach gewagt hatte, und als sie in dem Verlies unter der Erde aufgewacht war, war die Schatulle immer noch an derselben Stelle gewesen.
Die ersten Tage in dem neuen Gefängnis waren am schlimmsten gewesen. Sie hatte das Gefühl gehabt, lebendig begraben zu sein – in einer unterirdischen Grabstätte an einem unbekannten Ort. Es hatte Momente gegeben, in denen sich die Erdwände scheinbar auf sie zubewegten.
Sie hatte Platzangst bekommen und das Gefühl gehabt zu ersticken. Aber anders als in dem Verlies im Affenhaus hatte sie bisher weder vor Wut und Verzweiflung an die Wand getrommelt noch geweint. Sie war in eine Art Angststarre verfallen und hatte viele Stunden reglos und apathisch auf der Matratze zugebracht. Sie konnte sich einfach nicht an die Dunkelheit gewöhnen. Diese Schwärze, die sich auch mit ihrer Kopflampe kaum vertreiben ließ. Dann die Feuchtigkeit und der Geruch nach Moder. Und erst die Stille. Die Töne und Geräusche der Außenwelt waren wie ausgeschaltet. Außer dem leisen Summen eines Gebläses an der Decke war nichts zu hören. Erst als Niko aufgetaucht war, war es ein bisschen besser geworden.
Jette ging die Luft unter der Decke aus. Sie steckte ihren Kopf wieder hervor. Ihr Blick fiel auf die Striche, die sie am Kopfende der
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