Haut, so weiß wie Schnee
haben?«
»Ja«, sagte der Mann.
»Und wer hat dann den Brief geschrieben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und die Falken?«, sagte Jonah wütend. »Streiten Sie auch ab, dass Sie Falken haben?«
»Nein, ich habe Falken.«
»Und warum, bitte schön?«
»Ich kenn mich mit ihnen aus«, sagte der Mann. »Mein Vater war Förster. Und für die Jugendlichen hier sind sie genau das Richtige. Sie richten sie zum Jagen ab. Das gefälltden jungen Leuten. Aber sie müssen auch geduldig sein. Und zuverlässig. Den Tieren regelmäßig Futter geben. Ich habe hier Jugendliche, die das erste Mal seit Langem wieder eine Beziehung aufbauen. Manche auch überhaupt das erste Mal. Zugegeben, zu einem Falken. Aber immerhin. Mit Hingabe. Und Liebe.«
»Ihre Liebe interessiert mich einen Scheiß«, sagte Jonah. Ihm wurde schlecht. Sie waren in einer Sackgasse gelandet. Wieder einmal. Wo sollten sie Jette noch suchen? Die Zeit lief ihnen davon. Jeder Tag, der verging, bedeutete einen Tag mehr für sie in Gefangenschaft. Wer wusste, wie es ihr inzwischen ging? Ihr Besuch war völlig umsonst gewesen. Sie waren mal eben durchs ganze Land gereist, um irgendeinem verkappten Wissenschaftler mitzuteilen, dass das, was er meinte, vor fünfzehn Jahren angerichtet zu haben, gar nicht so war. Als ob sie nichts anderes zu tun hätten.
»Essen!«, rief eine Jungenstimme aus der Ferne.
»Gleich!«, antwortete der Mann neben ihnen. Dann fragte er wieder: »Sie ist wirklich nicht tot? Ich verstehe das nicht. Sie hat die ganze Zeit über gelebt? Ich habe wegen eines Irrtums … Ich meine, es ist gut, was ich hier gemacht habe, aber …«
»Kennen Sie Dr. Saalfeld und Wim Tanner?«, fragte Charlie.
»Sie waren damals beide auf der Station«, antwortete der Mann, noch ganz in seinen eigenen Gedanken versunken.
»Die beiden haben Jette entführt«, sagte Charlie. »Deswegen sind wir hier. Haben Sie eine Idee, wo sie sie versteckt haben könnten?«
»Nein«, sagte der Mann. »Ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen. Aber warum haben sie sie entführt?«
»Dr. Saalfeld sucht die genetische Mutation, die Sie damals entdeckt haben. Aber …« Charlie hielt inne und sagtelangsam: »Sie haben ja gar nicht erzählt, dass Sie die Mutation gefunden haben.«
»Hab ich auch nicht«, sagte der Mann.
»Aber Dr. Saalfeld hat doch Notizen von Ihnen entdeckt, in denen steht, dass Sie die Mutation gefunden haben«, sagte Charlie. »Er ist davon überzeugt, dass es stimmt, was Sie geschrieben haben. Deshalb hat er Jette entführen lassen. Er wollte ihr heimlich Blut abnehmen. Niemand sollte wissen, von wem das Blut mit der Mutation stammte. So wollte er sichergehen, dass er sein Wissen für sich allein haben würde. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es diese Mutation gar nicht?«
»Verdammt«, sagte der Mann. »Ich kann mir denken, was er gefunden hat. Mein Gott, das darf doch alles nicht wahr sein. Dann bin ich auch noch daran schuld …«
»Woran sind Sie schuld?«, fragte Jonah.
»Ich …«
»Wieso?«, brüllte Jonah.
»Ich … habe einen solchen Zettel … geschrieben.«
»Geht es vielleicht etwas genauer?«, zischte Jonah.
»Bevor ich in der Nacht zu dem Baby ging, war ich wie im Wahn«, presste der Mann hervor. »Ich hatte mir vorgestellt, dass ich das Rätsel gelöst hätte. Ich saß an meinem Schreibtisch und stellte mir vor, Wissenschaftler aus aller Welt riefen an und gratulierten mir. Ich hob richtig den Hörer ab.« Der Mann lachte freudlos. »Ich nahm auch Papier und einen Stift zur Hand und fing mit dem entscheidenden Fachaufsatz an: ›Ich habe heute auf dem NF1-Gen des neugeborenen Kindes Lina Sandwey eine genetische Mutation entdeckt, die ihr eine perfekte Haut beschert …‹ Das Papier habe ich dann wohl auf dem Tisch liegen lassen.«
»Es war nur ein Wunsch«, sagte Charlie langsam.
» Nur ein Wunsch«, bestätigte der Mann bitter.
»Sie müssen Dr. Saalfeld sagen, dass es die Mutation nicht gibt. Dann hat er keinen Grund mehr, Jette gefangen zu halten«, sagte Charlie.
»Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?« Der Mann überlegte. »Vielleicht hat er dann auch keinen Grund mehr, eure Freundin am Leben zu lassen. Wenn er sie wirklich entführt hat, wird sie reden, wenn er sie gehen lässt.«
Jonah hätte dem Mann am liebsten die Gurgel umgedreht. Wie er es einfach so aussprach, dass Jette getötet werden könnte. Jonah achtete immer peinlich genau darauf, dass seine Gedanken vor diesem Punkt stehen blieben. Er
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