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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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ihn der Mann aus Amerika angerufen. Ein unerwarteter Anruf. Ob er ihn besuchen dürfe, hatte er gefragt. Kai Saalfeld hatte ja gesagt.
    Schade, dass die Titanenwurz nicht mehr blüht, dachte er jetzt. Aber der Mann aus Amerika würde auch so staunen. Die Bezeichnung gefiel ihm: »Mann aus Amerika«. Er würde ihm natürlich das neue Tropenhaus zeigen.
    Kai Saalfeld nahm sich eine zweite Whiskeyflasche. In der Bar seines Arbeitszimmers hatte er die wirklich guten Tropfen stehen. Und die waren nur für ihn. Selbst Wim Tanner musste mit der Bar des Esszimmers im Familienflügel vorliebnehmen. Heute war er allerdings ausgegangen. Gezwungenermaßen. Kai Saalfeld hatte von ihm verlangt, die Villa zumindest für ein paar Stunden zu verlassen. Niemand sollte das Wiedersehen stören. Wim Tanner hatte geflucht,sich dann aber gefügt. Die Zivilbeamten am Eingang hatten ihn nicht angehalten. Er richtete sich immer noch jeden Morgen sorgfältig als andalusischer Gärtner her, fürchtete jedoch, dass seine Verkleidung irgendwann auffliegen könnte, und hatte daher inzwischen konkrete Pläne, die Villa zu verlassen.
    Wie ruhig das Haus war, dachte Kai Saalfeld. Ganz anders als früher. Innerhalb von drei Wochen hatte sich sein Leben dramatisch verändert. Es war in sich zusammengestürzt wie ein Kartenhaus. Er hatte seinen Job verloren, seine Frau, seinen Sohn. Und die genetische Mutation, die er Tag und Nacht gesucht hatte, war unauffindbar geblieben.
    Aber in diesem Moment störte ihn das alles erstaunlich wenig. Er fühlte sich am Ziel, denn eine große Last war von ihm abgefallen. Der permanente Drang, immer größere Gärten bauen zu müssen, war weg. Mit dem heutigen Tag hatten die Gärten ihre Funktion erfüllt. Das alles hatte auch einen sehr praktischen Vorteil: Er würde nicht mehr so viel Geld verdienen müssen.
    Das einzige Problem war eigentlich nur noch das Mädchen. Am einfachsten wäre es, sie freizulassen, überlegte er. Es war nicht klug, sich mit einem Mord zu belasten, und wäre es auch nur als Mitwisser.
    Wenn Wim etwas Geld mit dem Mädchen verdient hatte, konnten sie sie an einer unbelebten Straße aus dem Auto steigen lassen. So einfach war das. Er selbst würde dann allerdings untertauchen müssen, denn sobald das Mädchen wieder da war, würde man versuchen, ihn zu verhaften. Da war er sich sicher. Der Kommissar hatte ihm bereits gesagt, dass er ihm nachweisen könne, dass er Wim Tanner bei seiner Flucht unterstützt hatte. Offenbar hatte die Polizei ein Gespräch im Auto mitgeschnitten. Aber ihn hielt hier sowieso nichts mehr, und ausreichend »Fluchtgeld« besaß erauch. Für einen ordentlichen Neuanfang würde es jedenfalls reichen.
    Wie der Mann wohl aussah? Kai Saalfeld hatte sich vorgenommen, ihm keine Vorwürfe machen. Es war alles so lange her … Als er gerade erneut das Glas ansetzte, klingelte es an der Tür.
    Sie saßen zu viert im Baumhaus. Jonah, Charlie, Dukie und Klara. Es war verdammt eng, denn das Baumhaus war eigentlich nur für zwei Personen ausgelegt. Jonah und Dukie hatten es einst zusammen mit Jonahs Vater gebaut. Sie hatten dafür Jonahs Lieblingsbaum ausgewählt, einen alten Apfelbaum, dessen Äpfel stets als Erste reif waren. Auch jetzt roch der ganze Baum nach Äpfeln. Jonah streckte seine Hand aus und bekam einen zu fassen. Er riss ihn ab. Es war ein ziemlich kleiner Apfel. Jonah stopfte ihn in seine Hosentasche.
    »Er ist längst im Haus!«, sagte Klara ungeduldig. Dukie schwieg. Er tippte unverdrossen auf seinen Armaturen herum, die er irgendwie auch noch in dem Baumhaus untergebracht hatte. Er hatte ihnen versprochen, dass sie jedes Wort, das in der Villa fiel, mithören könnten. Aber bislang hörten sie gar nichts.
    In den Zweigen raschelte es. Vielleicht ein Eichhörnchen. Dann blubberte es. Einer der Koi-Karpfen, dachte Jonah. Das Baumhaus lag direkt neben dem kleinen Teich mit den Zierfischen. Kurz darauf raschelte es in einem Busch. Ein Vogel. Ein Apfel fiel zu Boden. Wie laut die Geräusche nachts waren.
    Es war komisch, hier zu sein. Alles an dem Ort war bedeutungsvoll. Die Nachtluft schien erfüllt mit den Gespenstern der Vergangenheit – und der Gegenwart. Zweimal war Jonah seit der Flucht aus dem Tropenhaus noch in der Villagewesen. Beide Male, um Dukie und der Polizei beim Durchsuchen des Grundstücks zu helfen. Und jedes Mal hatte er das Gefühl gehabt, dass Jette ganz nah war. Genau wie jetzt. Er spürte ihre Existenz an diesem Ort.
    »Schön hast du’s

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