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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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hier.« Die Stimme eines alten Mannes schallte plötzlich aus einem der Lautsprecher. Der Mann sprach mit amerikanischem Akzent.
    »Hm« , antwortete Dr. Saalfeld.
    Es ging los. Jonah beugte sich zu dem Lautsprecher vor.
    »Wie alt … bist du, boy?« Der Mann sprach ein Mischmasch aus Deutsch und Englisch.
    »Das fragt man normalerweise ein Kind« , sagte Dr. Saalfeld. Er lachte, doch es klang nicht froh.
    »Entschuldige bitte« , bat der Mann.
    »Sechsundvierzig Jahre« , sagte Dr. Saalfeld.
    Dann war es still.
    »Etwas zäh, die Unterhaltung«, sagte Charlie in die Stille hinein.
    »Wie ist er denn so?«, fragte Dukie. Seine Stimme klang ungewohnt zaghaft.
    »Nett …«, sagte Charlie. Sie hatte den Mann mit dem Taxi vom Flughafen abgeholt. Er sollte nicht auf die Idee kommen, noch im letzten Moment zu kneifen. Kurz vor der Villa war sie aus dem Taxi gestiegen, damit Dr. Saalfeld sie nicht sah, und dann vor wenigen Minuten zu den anderen ins Baumhaus geklettert. »Er ist alt«, sagte sie. »Siebzig oder achtzig Jahre. Und der Flug hat ihn angestrengt.«
    Norbert Königssohn hatte nur drei Tage benötigt, um den Mann zu finden. Keine Frage, er wusste, wie man Vermisstesucht. Das jahrelange Untertauchen hatte ihn zu einem Experten für echte und falsche Spuren gemacht.
    Dukie hatte den Mann in Amerika dann angerufen. Ihm konnte er eine Bitte am wenigsten abschlagen. Er war schließlich sein Großvater. »Du musst schnell kommen«, hatte Dukie gesagt, »und dir die Gärten zeigen lassen. Bewundere sie. Mehr ist eigentlich gar nicht nötig. Aber es ist sehr wichtig. Mein Vater hat ein Mädchen gekidnappt. Wir hoffen, dass er sie dann freilässt.« Dukie hatte einige Zeit gebraucht, um dem Mann am anderen Ende der Leitung die Zusammenhänge zu erklären. Aber dann hatte der sich tatsächlich bereit erklärt, über den Ozean zu fliegen.
    »Warum bist du gekommen?« , fragte Dr. Saalfeld.
    »Wie geht es deiner Mutter?« , antwortete der Mann ausweichend.
    »Sie ist tot. Wieso bist du hier?«
    »I read about you in the newspaper.«
    »Worüber?«
    »Eine Entführung.«
    »So.«
    »Hast du etwas damit zu tun?«
    »Was geht’s dich an?«
    »Nothing« , sagte der Mann. Und dann, sehr leise: »I’m sorry …«
    »Du siehst anders aus, als ich dich in Erinnerung hatte.« Dr. Saalfelds Stimme.
    »Älter. Like an old man.«
    »Ja, alt.«
    Pause.
    »Warum bist du nicht wiedergekommen?« Kai Saalfelds Stimme klang tiefer als sonst.
    Jonah fühlte sich auf einmal unwohl. Dr. Saalfeld war für ihn immer »der Hausherr« gewesen. Der Arbeitgeber seiner Eltern. Jetzt erlebte er ihn in einer ganz anderen Rolle. Sehr privat.
    »Ich wollte immer wiederkommen.«
    »Du hast nicht einmal geschrieben.«
    »Ich wollte es immer. Aber ich bin kein großer Schreiber. Und irgendwann war es zu spät.«
    Dr. Saalfeld lachte bitter.
    Wieder Stille. Dann das Geräusch eines rückenden Stuhles.
    »Ich zeig dir den Garten« , sagte Dr. Saalfeld.
    »Okay« , stimmte der alte Mann zu.
    Dukie tippte eilig auf seinen Tasten herum. »Sie gehen raus«, sagte Klara ungeduldig. »Hast du alle Mikrofone angeschaltet?« Dukie antwortete nicht. »Sag doch was«, drängelte Klara. Jonah grinste. Klara war auch nicht unfehlbar. Zu meinen, man könne Dukie ansprechen, während er seine Geräte justierte, war ein echter Anfängerfehler.
    »Stell dich hierhin« , hörten sie Dr. Saalfeld sagen. »Hier hast du den besten Blick.«
    »Sie sind auf der Veranda«, flüsterte Dukie.
    »Das ist mein kleines Reich« , sprach er weiter. »Es ist dunkel, aber einiges kannst du trotzdem sehen. Da vorn stehen die Buchsbäume. Ich schneide sie immer selbst. Die beiden ganz rechts sind ›Dame‹ und ›König‹ aus einem Schachspiel. Erkennst du die Figuren? Es hat lange gedauert, bis die Bäume so groß waren, wie ich sie habenwollte. Und daneben, auch noch im Licht der Laternen, sind die Rosen. Man sieht es jetzt nicht. Aber sie haben lavendelfarbene Blüten! Und duften wunderbar zart. Ich versuche, auch türkisfarbene Rosen zu züchten. Aber das ist sehr schwierig. Auf den kleinen Wegen liegt übrigens nicht einfach nur Kies. Das ist Marmorsplitt aus Verona. Pfirsichfarben. In der Morgen- und Abendsonne glänzt er wie Honig. Die Wasserlandschaft …«
    »Es ist ein herrlicher Garten. Wunderschön!« , unterbrach der alte Mann den Vortrag. »Könntest du mir einen Stuhl bringen? Der Flug war lang.«
    »Aber im Sitzen kannst du das alles doch gar nicht sehen« , antwortete Dr.

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