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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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taxieren.
    Ein Gesicht, ein blasses, ovales Gesicht starrte ihn in der Finsternis unverwandt an. Anderthalb Schritt weit von ihm entfernt. Groß. Groß und kräftig.
    »Ich kann Ihnen wehtun«, sagte er leise. »Ich bin ausgebildet, Sie nicht. Ich kann es sehr unangenehm für Sie werden lassen. Also treten Sie zurück.«
    Das Gesicht blieb, wo es war. Schaute ihn einfach an.
    »Sie sollen zurücktreten, hab ich gesagt.«
    Immer noch keine Bewegung. Mit klopfendem Herzen spielte Caffery die nächste Bewegung durch, dachte an Reaktionsdistanzen und an die Wirkung des Gassprays - nicht nur auf den Knilch da vorn, sondern auch auf seine eigenen Atemwege.
    Eins, zwei, drei, zählte er bei sich. Eins, zwei, drei - und los.
    »Treten Sie zurück!« Er hielt die linke Hand vor sein Gesicht und die rechte nach vorn ausgestreckt. Er musste seine Augen schützen. »Zurück, habe ich gesagt, du Idiot. Du sollst verdammt noch mal zurücktreten!«
    Er drückte drei Sekunden lang auf den Sprühknopf, ließ ihn dann wieder los und senkte die Hand. Taumelte einen Schritt zurück, stieß irgendetwas um, hielt den Arm vor das Gesicht und blinzelte durch die Chemikalienwolke. Die Gestalt hatte sich nicht bewegt. Er hob den Arm ein kleines Stück höher; seine Augen tränten von dem Gas, das zu ihm zurückwehte. Das Gesicht war immer noch da, unbewegt und glatt. Die Flüssigkeit lief langsam daran herunter, bildete am Kinn ein Rinnsal und tropfte nach unten ins Nichts. Die Augen offen und glasig, und keine Spur von dem Husten oder Erbrechen, das er erwartet hatte.
    »Scheiße.« Er senkte den Kopf und spuckte auf den Boden. »Scheiße.«
    Es war eine Jahrmarktsfigur. Das spröde Puppengesicht blickte völlig ungerührt. Schwer atmend wandte er sich zur Tür. Wo, zum Teufel, befand sich Pooley? In welchen Gang hatte er sich geschlichen? Hinter welchem Möbelstapel versteckt? Zur Tür, dachte er. Du musst zur Tür. Er tat einen Schritt nach vorn. Etwas prallte gegen seine Brust. Ein Arm schloss sich um seinen Hals, eine Hand griff lähmend in seine Weichteile und zog ihn hinunter.
     

50
    Katherine Oscar stand mit erhobener Hand vor der Hintertür und wollte gerade wieder klopfen.
    »Herrgott noch mal.« Flea ließ den Degen klirrend zu Boden fallen, lehnte sich an die Wand und legte eine Hand an die Stirn. »Herrgott. Tun Sie das nicht noch einmal.«
    Katherine betrachtete ihr erschöpftes Gesicht und ihr Haar, das wirr auf die Schultern herabhing. »Du lieber Himmel. Was ist denn los?«
    »Ich bin müde.« Flea schüttelte den Kopf. »Es war ein langer Tag.«
    Katherine lächelte kurz, als hätte sie gar nichts gehört. Anscheinend machte es ihr Spaß, Flea in ihren schlimmsten Momenten zu erwischen und sich jeden Tag einen kleinen Triumph zu gönnen: ungewaschene Haare, unmoderne Jacke, keine Einladung zum Rennen nach Ascot oder Cheltenham. Damit machte sie ihre Punkte. »Wie geht's Ihnen, Phoebe? Was macht Ihr furchtbarer Job?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, trat sie einen Schritt näher und reckte den Hals, um durch die Tür in die Diele zu spähen. Flea reagierte mit einem Schritt zur Seite und versperrte ihr die Sicht. Katherine versuchte ständig, sich ins Haus zu drängen und einen Blick auf den Antiquitätenschatz zu werfen, den die Marleys - davon war sie überzeugt - bei ihren Auslandsreisen zusammengetragen haben mussten. In den oberen Zimmern lagen tatsächlich ein paar Stücke herum: afrikanische Masken und russische Puppen, Schachteln mit Muscheln, die ihr Vater in Palau heraufgeholt hatte, und der Stockdegen. Aber davon abgesehen täuschte Katherine sich: Nichts von all dem war wirklich wertvoll.
    Einen Moment lang herrschte Stille. Erst jetzt schien Katherine zu begreifen, was Flea tat, und wich einen Schritt zurück. »Es tut mir sooo leid. Entschuldigen Sie, ich bin so unhöflich. Meine Mutter sagte immer, ich habe keine Manieren.«
    »Wie lange stehen Sie schon da draußen?«
    »Wie lange? Nur eine Minute. Warum?«
    »Sind Sie sicher, dass Sie nicht durchs Fenster geschaut haben?«
    »Was für ein absurder Gedanke. Selbstverständlich nicht.«
    »Na dann...« Flea legte eine Hand auf den Türknauf und gab damit zu verstehen, dass das Gespräch beendet war. »Dann sage ich gute Nacht.«
    »Der Stromableser war heute hier«, sagte Katherine. »Ich hab ihm gezeigt, wo Ihr Zähler ist.«
    Flea runzelte die Stirn. Der Zähler befand sich im Schuppen oben an der Einfahrt. »Sie waren in meinem

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