Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
Es gab kein Entkommen. Sie fuhr an den Straßenrand.
    »Hi.« Wellard legte den Ellbogen auf das Wagendach und schaute sie lächelnd durch das Fenster an. »Sind ein bisschen arbeitsgeil, was, Sarge? Rollen hier trotz Krankmeldung an?«
    Sie stellte den Motor ab und wandte den Blick nicht vom Lenkrad. »Ich dachte, ich hätte Ihnen gesagt, Sie sollen erst zum Schluss hierherfahren.«
    »Da ist was dazwischengekommen. Der Einsatzleiter wollte, dass schnell jemand erscheint. Der Inspector hatte nichts dagegen - ich dachte nicht, dass Sie...«
    »Okay, okay.« Sie sah an ihm vorbei. Hinter der Abschirmung stand ein Wagen in der versteckten kleinen Lücke, in der sie einmal geparkt hatte, um zu Ruth hinaufzugehen. Sie konnte nur das Dach sehen. »Die Spurensicherung ist hier. Was ist los?«
    »Ein Selbstmord.«
    »Mit abgelaufenem Verfallsdatum? Deshalb haben sie euch kommen lassen, ja?«
    Das Dach des Wagens war ausgebleicht von der Sonne und mit Vogelkot gesprenkelt. Bei dem Anblick griff etwas Kaltes nach ihrem Herzen. »Es ist der Wagen, den ich da sehe, ja?«
    »Das ist er.«
    »Ein VW?«
    Wellard klapperte mit den Lidern. »Ein VW? Ja - ich meine, ja, ein VW. Das können Sie von hier aus erkennen?« Sie presste die Finger an die Schläfen. »Sarge alles okay?«
    »Mir geht's... gut, ja.«
    Sie ließ den Schlüssel im Zündschloss stecken und stieg aus.
    Mit geradem Rücken und steifen Beinen ging sie los. Mechanisch zeigte sie dem Polizisten an der Absperrung ihren Ausweis, duckte sich unter dem Absperrband hindurch und ging an dem Van vorbei. Die beiden Männer des Coroners in ihren grauen Anzügen standen am Rand der inneren Absperrung, wie sie es immer taten; sie rauchten und unterhielten sich leise. Flea ging wortlos an ihnen vorbei.
    Das Erste, was sie erblickte, war der Leichensack auf der Straße; daneben stand die orangefarbene Trage in der Sonne. Dann sah sie ihre eigenen Leute vor der offenen Wagentür; vorgebeugt standen sie da und schauten hinein. Sie richteten sich auf, als Flea sich näherte, lächelten und begrüßten sie, machten vielleicht einen Scherz - Flea hörte es nicht. Sie lugte zwischen den Beinen ihrer Leute hindurch und erkannte die Wade einer Frau, den Fuß in einem roten, hochhackigen Schuh. Am Knöchel eine Schramme. Weiter oben der Saum eines kurzen schwarzen Kleides. Rechts sah sie das gegenüberliegende Seitenfenster. Moos wuchs auf den Gummidichtungen.
    Sie wandte sich ab, presste beide Hände ins Kreuz, hob das Gesicht zum Himmel und atmete ein. Aus. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen und versuchte ein letztes Mal, die Welt zu wärmen, aber Flea bemerkte sie nicht. Sah nicht, wie sie die verschiedenen Grüntöne der frischen Knospen an den Bäumen in der Ferne leuchten ließ und die Hügellandschaft überstrahlte.
    Was sie an diesem schönen Mainachmittag sah, war nur, dass der Himmel sie zu ersticken drohte. Dass der Himmel und die Welt und all die Leute in ihr sie so tief hinunterdrücken konnten, dass sie irgendwann einfach keine Luft mehr bekam.
     

62
    War wohl ein bisschen viel Scotch gestern Abend, dachte Caffery. Er hatte hundsgemeine Kopfschmerzen, und jede Bewegung löste Druckwellen von einem Ohr zum anderen aus. Er fuhr sich mit einer Hand über das scheinbar zugedeckte Gesicht. Aber da war nichts. Er hob tastend die Hände und rechnete mit einer Bettdecke, aber stattdessen stieß er an etwas Hartes, Raues. Er streckte die Hände nach hinten und traf auf den gleichen harten, unnachgiebigen Widerstand.
    Er lag auf der Seite und atmete schnell. Er war nicht im Bett. Er befand sich in einem geschlossenen Raum, einem Gewölbe oder einer Kiste, vielleicht zweieinhalb Meter im Quadrat. Etwas mit einer hallenden Akustik und einem abgestandenen, fauligen Geruch. Ungefähr drei Meter über sich sah er einen einzelnen, dunstigen Lichtfleck.
    Denk nach. Streng dich an.
    Verschwommene Bilder kehrten zurück: eine Gerberahle, blutige Streifen auf Stoff. Er befühlte sein Gesicht. Blut überkrustete seine Oberlippe, seine Nase tat weh, und sein Zahnfleisch war angeschwollen. Er strich mit den Händen an sich herunter. Er hatte seinen Anzug an, aber der Stoff an den Beinen war krustig und hart. Seine Kniekehle war empfindlich, geschwollen und fühlte sich heiß an. Weiter unten fand er eine aufgerissene, breiige Stelle, wo Fleisch und Anzugstoff miteinander verschmolzen.
    Scheiße, Scheiße, Scheiße. Er nahm die Hände weg, legte den Kopf in den Nacken und atmete schwer. Die

Weitere Kostenlose Bücher