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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Geister.
     

65
    Staatsanwälte redeten mit Caffery manchmal über den »CSI-Effekt«: Die amerikanische Fernsehserie habe die Menschen und speziell die Geschworenen zu der Überzeugung gebracht, die forensische Wissenschaft sei allmächtig. Es gebe einen Test für alles. Und wenn eine Spur da sei, würden die Kriminaltechniker sie automatisch finden. In Wahrheit, das wusste jeder Jurist, war der beste Forensiker nur so gut wie der ermittelnde Polizist. Die gesamte Forensik richtete sich nach den vorliegenden Erkenntnissen, und so war sie wunderbar leicht zu manipulieren.
    Tanner war tot. Caffery war nur wenige Augenblicke draußen gewesen, aber in dieser Zeit hatte sein Herz den letzten Rest seiner klebrigen Wärme aus dem Körper gepumpt, und er war reglos und grau in sich zusammengesunken. Das gab Caffery Gelegenheit, den Lauf der Geschichte zu ändern. Er hinkte im Haus umher und sammelte seine Sachen ein: sein Telefon, die Handschellen, das Pfefferspray. Dann verbrachte er vierzig Minuten damit, den Tatort zu gestalten: Er verwischte Fingerabdrücke, schrubbte Blutspuren weg und positionierte Tanners Leiche. Wenn die Teams einträfen, würde er mit dem Haus als ermittelnder Beamter verfahren, nicht als Opfer; er würde die Kriminaltechniker herumführen und ihnen seine eigene, sehr glaubhafte Version der Ereignisse präsentieren.
    Das Szenario: Tanner hatte gewusst, dass die Schlinge sich zusammenzog. Er hatte Caffery in die Sickergrube geworfen und für tot gehalten, und dann seinem Leben mit der illegalen Pistole, die er in ein Geschirrtuch gewickelt in seinem Schreibtisch aufbewahrte, ein Ende gemacht. Caffery war wieder zu sich gekommen und die Leiter bis zum Deckel hinaufgeklettert; Dort hatte er ein hinreichendes Mobilfunksignal empfangen, um eine SMS an Turnbull abzuschicken. In der Nachricht war von einer Schusswaffe nicht die Rede gewesen; Caffery wusste nichts von einer Waffe, und er gab an, unten in der Sickergrube nichts gehört zu haben. Als die Teams anrollten und ihn befreiten, war es eine schreckliche Überraschung zu sehen, was Tanner sich angetan hatte.
    Er sah zu, wie sie Tanners Leiche abtransportierten. An den Fingern hatte man Schmauchspuren gefunden, und in der Decke des Korridors steckte eine verirrte Kugel: Tanner musste reflexartig noch einmal geschossen haben, nachdem er den tödlichen Schuss auf sich selbst abgefeuert hatte. Die einzigen Fingerabdrücke an der .45er Hardballer und an den Patronen im Magazin würden von Tanner stammen; ansonsten wäre die Waffe clean. Die einzigen Fasern, die sie daran finden würden, stammten von dem Geschirrtuch in seiner Schreibtischschublade, wo er sie jahrelang aufbewahrt hatte. Oberhalb des Erdgeschosses würde man nirgends Blutspuren, Fuß- oder Fingerabdrücke von Caffery finden, nur die, die er bei dem von ihm sofort zugegebenen Einbruch hinterlassen hatte. Der Name Arnos Chipeta wurde nicht erwähnt.
    Caffery blieb lange genug da, um zu sehen, wie die Ballistiker die Hardballer sicherstellten, die im Korridor auf dem Boden lag. Welch ein Jammer. Es war eine gute Waffe - hässlich, aber gut. Irgendwann würde sie vielleicht sogar wieder den Weg auf die Straße finden. Dann müsste er sie noch einmal kaufen. Draußen blieb er für einen Augenblick in der Abendsonne stehen und ließ seinen Blick zu dem Schachtdeckel und dem Swimmingpool wandern. Er dachte an Tansania und daran, wie es war, verkrüppelt und in Armut aufzuwachsen. Wie England in Arnos Chipetas Augen aussehen musste.
    Zwei Sanitäter standen vor der Haustür und beobachteten ihn. Sie waren den ganzen Nachmittag hinter ihm hergetrottet und hatten geduldig versucht, ihn in ihren Rettungswagen zu locken. Jetzt lächelte er ihnen freundlich zu, und bevor sie es verhindern konnten, stieg er in seinen Mondeo, hob das verletzte Bein in den Fußraum und startete den Motor. Bis zum Krankenhaus waren es zwanzig Meilen. Er brauchte keinen Krankenwagen. Beim Abfahren winkte er den Sanitätern kurz zu. Wenn er überleben konnte, was er heute überlebt hatte, dann würde er es sicher auch noch schaffen, zwanzig Meilen allein zu fahren.
     

66
    Der Anruf kam am Abend um halb neun, als Caffery bäuchlings und mit dem Kopf auf den Armen in seinem Bett auf der Unfallstation lag. Seine zerrissene Hose hing über dem Stuhl neben dem Bett. Weil er Polizist war, hatte man ihn doppelt so schnell wie üblich untersucht und versorgt. Es war eine oberflächliche Verletzung; Nerven, Bänder und Knochen

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