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Haut

Haut

Titel: Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Anfang an. Nur zehn Meter unter dir.«
     

22
    Flea saß mit ausgestreckten Beinen im Sessel ihres Vaters. Sie hielt ein Glas Gin Tonic in der Hand und betrachtete die Fernsehbilder von Farleigh Park Hall. Das neoklassizistische Herrenhaus mit seinem Säulengang und einer Sandsteinloggia war von den Eigentümern der Klinik für das Fernsehen aufpoliert worden: Die Fenster wirkten frisch geputzt, der doppelte Springbrunnen vor dem Haus sprudelte, und zwei Pfauen spazierten in der Nähe herum und pickten im Gras. Ein Mädchen erschien und kam die Vordertreppe herunter. Ihr gelbes Haar sah stumpf aus, als könnte es das Sonnenlicht absorbieren. Die Sandalen, dachte Flea. Die stimmen nicht. Sie waren silbern, nicht golden. Silbern. Aber alles andere - alles andere stimmt haargenau. Das neongrüne Kleid, die violette Samtjacke. Sie trug eine paillettenverzierte Handtasche, die bei ihren Bewegungen glitzerte. Wahrscheinlich war auch ein Nokia mit einem eingravierten Herzen in der Handtasche. Jedes Detail war wichtig.
    Um elf am Morgen, als sie in Steinbruch zwei gewesen war, hatte die MCIU Mistys letzte Stunden in der Klinik nachgestellt. Bei den Panoramaeinstellungen der Fernsehkameras konnte man sehen, wie viele Leute dazu erschienen waren. Die improvisierten Parkplätze auf den Feldern quollen über von Autos, Übertragungswagen starrten von himmelwärts gewandten Satellitenantennen, Reporter standen vor Kameras und fummelten an ihren Krawatten und Frisuren herum, und Aufnahmetechniker wimmelten durcheinander und stellten Stative und Mikrofone auf. Gruppen von Polizisten diskutierten leise miteinander. Oben bei den Springbrunnen hielt sich ein grauhaariger Mann in einem blauen Regenmantel auf, der verdächtig viel Ähnlichkeit mit dem Chief Constable hatte.
    Pessimismus senkte sich auf sie. Es wäre ein Wunder, wenn die Polizei die Suche aufgeben würde.
    Sie schaltete den Fernseher aus und ging mit ihrem Drink in die Küche. Sie konnte nicht länger herumsitzen und auf Thoms Anruf warten. Sie musste jetzt etwas tun, musste selbst nach der Unfallstelle suchen. Nach den neuesten Informationen der Buschtrommel testete das forensische Labor in Chepstow Haare und Fasern, die an verschiedenen gangbaren Stellen im Umkreis der Klinik sichergestellt worden waren, um einen Hinweis darauf zu finden, in welcher Richtung Misty das Gelände verlassen haben könnte. Flea verfügte nicht über die technischen Mittel der Polizei. Sie hatte nur ihren Verstand. Sie musste angestrengter, schneller und genauer denken als die gesamte restliche Polizei.
    Sie räumte ein paar Dinge vom Küchentisch - eine Pfeffermühle und den Steingutkrug, in dem Mum immer das Besteck und die Servietten aufbewahrt hatte - und breitete dann die aus dem Büro mitgebrachten Unterlagen aus: die Fotos von Mistys Kleidung und die computergenerierten Landkarten, die ihr Team vor drei Tagen bei der Suche in dem See bei Farleigh Park verwendet hatte. Sie setzte sich dahin, wo sie ihr Leben lang gesessen hatte - auf der linken Seite des Tisches zwischen Thom und Dad, Mum gegenüber -, und versuchte sich zu konzentrieren.
    Die Polizei wusste inzwischen, in welcher Richtung Misty verschwunden war. Sie hatten ihr Handy orten können. Pearce hatte während der Bergung der Selbstmörderin am Bahndamm der Strawberry Line mit Caffery darüber gesprochen. Die Mobilfunkmasten hatten meist sektorierte Antennenköpfe, die Segmente ausstrahlten, die insgesamt dreihundertachtzig Grad umfassten. Das Signal eines einzelnen Mobiltelefons war in einem dieser Segmente zu lokalisieren. Manche Masten verfügten über bis zu sechs Antennenköpfe, und damit waren diese sogenannten »Zellen« auf sechzig Grad einzugrenzen. Deshalb konnte man sagen, in welchem Sektor sich ein Telefon im Verhältnis zum Mast befand, aber nicht, wie weit es davon entfernt war - es sei denn, ein zweiter Mast könnte in die Gleichung einbezogen werden: Dann - und speziell, wenn das Telefon nicht weit von einem der beiden Masten entfernt war - konnte das Suchsegment manchmal fast quadratmetergenau verkleinert werden.
    Mistys Telefon war ein aufklappbares Nokia gewesen. Flea hatte die nachgestellten Fotos genau studiert. Das Gehäuse bestand aus Edelstahl, und es hatte ein LCD-Display, ein bisschen wie ihr eigenes Handy, nur dass Misty ihres mit einem aufgeklebten Herzen aus Glitzersteinen verziert hatte. Aber es war nicht in der Paillettenhandtasche gewesen und auch nicht in einer der Jackentaschen, und Thom

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