Haut
sich - sah sie schreiend in der Küche, sah, wie sie sich in der Diele an einen Polizisten klammerte und ihn anflehte: »Finden Sie meinen kleinen Jungen. Tun Sie's einfach, gehen Sie los, und finden Sie meinen kleinen Jungen.«
Caffery schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder. »Es ist sehr sauber hier. Haben Sie sauber gemacht?«
»Nein. Sie hat es so hinterlassen.«
»War das Haus normalerweise so sauber?«
»Nein. Das war ungewöhnlich. Lucy hatte...« Er zögerte. »Sie hatte ihre Prioritäten. Und wie Sie sehen, auch bestimmte Vorlieben. Ein paar davon sind nicht meine.«
Caffery nahm den Briefbeschwerer vom Couchtisch, drehte ihn um und betrachtete gelangweilt die Unterseite. »The Emporium« stand auf einem goldenen, rautenförmigen Aufkleber. »Wir haben ihr Handy nicht gefunden.« Er stellte den Briefbeschwerer hin und nahm einen anderen. Auf dem Boden klebte der gleiche Aufkleber. »Ich war in Wells und habe mir alles angesehen, was sie bei sich hatte. Ich habe nach Rechnungen gesucht, aber der verantwortliche Kollege sagt, er hat sie hiergelassen. Er sagt, es war verdammt mühsam, denn die meisten Bankauszüge und Rechnungen fehlten. Tatsächlich, sagt er, waren kaum irgendwelche Unterlagen im Haus.«
»Ich weiß. Man hat mir gesagt, sie hätten einen Herausgabebeschluss erwirkt. Man hat mir gesagt, der Telefonprovider müsste die fehlenden Rechnungen rausrücken.«
Mahoney hatte recht. Aber auch hier bevorzugte das System Leute wie Misty Kitson: Deren Telefonrechnungen waren innerhalb von wenigen Stunden verfügbar gewesen. Aber auf Nachfrage hatte Caffery erfahren, dass Lucy Mahoneys Unterlagen nie eingetroffen waren. Sie mussten irgendwo im System steckengeblieben sein, und nachdem ihre Leiche aufgetaucht war, hatte niemand sich mehr die Mühe gemacht, sich darum zu kümmern. Caffery hatte Turnbull angewiesen, sie ausfindig zu machen, aber es würde noch Tage dauern, bis er sie einsehen könnte, Tage, bis sie wüssten, was mit Lucy Mahoney in ihren letzten Stunden wirklich geschehen war.
»Hat sie ihre Unterlagen an einem bestimmten Ort aufbewahrt?«
Mahoney deutete auf einen Aktenordner neben dem Computer. »Da drüben.«
Caffery stellte den Briefbeschwerer ab, ging zum Schreibtisch und öffnete den Ordner. Er enthielt vier Telefonrechnungen, fast alle aus dem vergangenen Jahr. Nur eine war aus diesem Jahr, die vom Januar. Außerdem fand er zwölf Stromrechnungen, zwei Gemeindesteuerbescheide und zehn Bankauszüge. Alles war mehr als zwei Jahre alt. Er drehte sich um und hielt Mahoney den Ordner hin. »War das alles? Als Sie das erste Mal hier hereinkamen?«
»Ja, das war's.«
»Wissen Sie, warum sie Belege für diese Monate aufbewahrt hat und für andere nicht?«
»Sie war sehr verschlossen; mehr kann ich nicht sagen. Als die Polizei ihre Freunde befragte, konnte sie nichts über sie erfahren. So war es schon, als wir noch verheiratet waren. Ich wusste nie, was sie dachte.«
Caffery betrachtete die Wände und die bunt zusammengewürfelte Einrichtung. »Ich sehe, wie sie gelebt hat, aber ich hab keine Ahnung, wie sie ausgeschaut hat.«
Mahoney stand auf und ging zum Computer. Er schaltete ihn ein, zog einen kleinen Hocker unter dem Tisch hervor und streckte die Hand aus. »Bedienen Sie sich. Ist alles da drin.«
Caffery setzte sich. Der Computer, gut und schnell, mit einem 2,9-Gigabyte-Prozessor, war das neueste Stück in der Wohnung. Rasch sah er ihre Dateien durch. Nichts Interessantes. Die Fahnder würden sie auch gründlich durchgekämmt haben. Er öffnete ihr E-Mail-Programm: zwei neue Mails, beide Spam. Er startete den Internet Explorer und öffnete das Fenster mit den gespeicherten Suchdaten und sah die letzten Suchbegriffe, die sie eingegeben hatte: Topfpflanzen, die TV-Serie Hollyoaks, Mascara, Body Toning, Kristalle. Alles nicht besonders interessant. Er klickte das Videoverzeichnis an und wählte ein x-beliebiges Video aus.
Auf dem Bildschirm erschien ein freies Feld - irgendwann im Sommer, denn das Gras war grün, und die Bäume waren dicht belaubt. In mittlerer Entfernung stand eine große, schwere Frau in einem wadenlangen schwarzen Kleid. Mit ausgestreckten Armen versuchte sie, die Beine eines zierlichen Mädchens in rosa Shorts zu fassen, das umherhüpfte und immer wieder einen wackligen Handstand vollführte. Die Frau lachte. Sie hatte sehr kurzes, kastanienbraunes Haar. Ihr Gesicht war gerötet und grobknochig. Es war schwer, sie mit dem dunklen Klumpen auf dem
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