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Hautnah

Hautnah

Titel: Hautnah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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tätschelte sich die verfilzten blonden Locken. »Die anderen müssten jeden Moment eintrudeln.« Damit eilte sie an ihren Platz hinter dem Tresen zurück, um dort weiter Tassen mit einem porentief reinen Geschirrtuch zu trocknen.
    Marcus und James hatten vereinbart, dass die Familie gemeinsam mit der Besetzung von Set Me On Fire! zu Mittag essen würde. In den Verträgen mit der Trout Island Theatre Company war festgelegt, dass die Schauspieler als Ausgleich für die niedrige Gage täglich eine Mahlzeit im Diner einnehmen durften, für deren Kosten dann das Theater aufkam.
    Lara überflog die Karte, die außer gesottenem Fleisch, Weißmehlprodukten und Zucker nicht viel zu bieten hatte. »Hier gibt es nichts, was ich wirklich essen möchte«, erklärte sie. Nach dem Schock des gestrigen Abends hatte sie sowieso keinen Appetit. Nicht einmal das Joggen hatte geholfen, ihre Nerven zu beruhigen oder sie hungrig zu machen.
    »Ach, komm«, sagte Marcus. »Man muss mit den Wölfen heulen.«
    »Heulen ist ein gutes Stichwort. Was bitte soll das sein: Biscuits? Mit Bratensoße? Klingt ja widerlich.«
    Zugegeben, Lara hatte miserable Laune. Sie war wütend auf Bella, weil diese am Morgen nicht vom Schwimmen zurückgekommen war; auf Olly, weil der sich erst nach zehn Uhr vormittags zum Aufstehen bequemt hatte; und auf Marcus, weil der herumsaß und Text lernte, obwohl er doch der Erste gewesen war, der ihr darin zugestimmt hatte, dass ein gründlicher Hausputz vonnöten sei. Und dieser Familienhölle gegenüber stand nun Stephens Was wäre wenn . Seine Worte hatten in ihr die Ahnung von einem anderen Leben geweckt – ein Leben, das sie hätte haben können, wenn die Vereinigung und Teilung zweier Zellen nicht gewesen wäre.
    Sie hatte versucht, ihren Frust durch Hausarbeit abzureagieren. Mittlerweile war die Küche sauber genug für die Verarbeitung von Lebensmitteln, sie hatte den Holzfußboden sowie die untapezierten Wände im riesigen verstaubten Wohnzimmer abgewischt, und dem im Perserteppichmuster bemalten Tschechow’schen Fußbodenbelag war über dem Verandageländer sämtlicher Dreck aus den Fasern geprügelt worden.
    Sie hatte gerade im Wohnzimmer gekniet und war dabei gewesen, ihn aufzurollen, um ihn nach draußen zu schleppen, als Marcus, das Skript lässig unter den Arm geklemmt, von der Schaukel auf der Veranda ins Haus geschlendert gekommen war, um sich ein Glas Wasser zu holen.
    »Übertreibst du es nicht ein bisschen?«, hatte er sie gefragt.
    Aber unterschwellig hatte Stephen Molloy ihren Tag bestimmt, und er tat es noch immer. Bislang hatte sie das Gefühl gehabt, er hätte bei seinem überstürzten Fortgang damals ein Stück von ihr mitgenommen. Jetzt jedoch wurde ihr klar, dass ein Teil von ihr danach schlichtweg eingeschlafen war und all die Zeit über geschlafen hatte. Dieser Teil war jetzt wieder erwacht, und zwar nicht ganz allmählich, so wie eine Prinzessin aus einem langen Schlummer, sondern abrupt und brutal wie von dem Schlag, den ein Neugeborenes bekam, kaum dass man es mit bläulicher Haut aus dem Leib seiner Mutter gezogen hatte.
    Und nun war alles von diesem plötzlichen Erwachen gefärbt.
    Zum Beispiel erkannte sie jetzt, dass der Grund, weshalb sie in der letzten Zeit nicht von Marcus hatte berührt werden wollen, der war, dass sie seine feige Visage einfach nicht mehr ertragen konnte. Seine Reaktion auf ihre jüngste Schwangerschaft – er hatte sich die Haare gerauft und gejammert und war nicht einmal auf die Idee gekommen, dass sie das Baby vielleicht behalten wollte – hatte dazu geführt, dass sie ihn nicht mehr als Mann betrachtete, sondern als ein weiteres Kind, für das sie die Verantwortung trug. Und mit einem Kind konnte sie keinen Sex haben. Das war in jeder Hinsicht absolut undenkbar.
    Die Blutungen hatten ihr eine gute Ausrede geboten. Jede Nacht war sie in ihrer Rüstung aus Unterwäsche, Vlieseinlagen und langem T-Shirt neben ihn ins Bett geschlüpft. Und obwohl die Blutungen mittlerweile zurückgegangen waren, hatte sie gehofft, den Schein noch ein oder zwei Wochen aufrechterhalten zu können.
    Aber jetzt, im gleißenden Licht von Stephens Was wäre wenn, konnte sie sich nicht vorstellen, wie sie es über sich bringen sollte, Marcus überhaupt jemals wieder anzufassen.
    Sie musterte ihn über den Tisch hinweg beim Studieren der Speisekarte. Zwischen den Sommersprossen und kupfernen Bartstoppeln war die Haut in seinem Gesicht bereits vom Sonnenbrand gerötet. Was früher

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