Havanna für zwei
wenn Kuba kein kommunistisches Land mehr wäre und Dehannys problemlos ausreisen könnte. Oder aber sie selbst würde eines Tages nach Varadero zurückkehren.
Sie klappte ihren Koffer zu und schaute unter dem Bett nach, ob sie etwas vergessen hatte. Mit jeder Minute, die verstrich, wurde sie wütender. Kuba war zwar berüchtigt für seine karibische Pünktlichkeit, aber sie wollte den Taxifahrer nicht warten lassen, falls er zufällig doch pünktlich käme.
Emma fragte sich, ob Felipe mit der Fahrt beauftragt würde. Sie hatte ihm erzählt, dass sie heute um zehn Uhr abgeholt und nach Havanna gebracht wurde.
Im paladar hatte er sie sehr ritterlich und zuvorkommend behandelt, aber nichts von einem Wiedersehen gesagt. Sie hatten Schuldgefühle geplagt, als sie im Dunkeln mit ihm auf die Veranda gegangen war, um die Sterne zu betrachten – als würde sie Paul hintergehen –, doch eine leise Stimme sagte ihr, es sei in Ordnung, die Gesellschaft eines anderen Mannes zu genießen. Das machte sie nicht zu einem schlechten Menschen und minderte ihre Liebe zu Paul nicht.
Wieder sah Emma seufzend auf das Zifferblatt ihrer Uhr. Es war höchste Eisenbahn, den Etagendienst zu rufen und einen Gepäckträger kommen zu lassen, der ihre Sachen zur Rezeption hinunterschaffte, aber sie konnte nicht allein nach Havanna fahren. Also zerrte sie Sophies Reisetasche aus dem Schrank und warf ihre sowieso schon zerknitterten Klamotten bündelweise hinein. Im Bad fegte sie mit einer Hand Sophies Toilettenartikel in ihre riesige rosafarbene Schminktasche. Zum Glück hatte ihr Schwesterherz nicht den halben Haushalt mitgenommen wie früher, als sie noch Kinder waren.
Als Emma den Verschluss von Sophies Reisetasche zuschnappen ließ, hörte sie, dass sich jemand an der Zimmertür zu schaffen machte.
Mit zerzausten Haaren und in Hochstimmung kam Sophie hereingestolpert.
»Du bist spät dran!«
»Entspann dich, Em, wir sind im Urlaub.«
»Ich musste deinen Krempel für dich packen – aber vielleicht hast du ja darauf spekuliert.«
Sophie rannte zu ihrer Reisetasche und kontrollierte sie. »Du hättest die Sachen wenigstens zusammenlegen können.«
»Du hast Nerven! Jetzt hol deinen restlichen Kram, bevor ich noch was sage, das ich vielleicht später bereue.«
Sophie verdrehte die Augen. Am liebsten hätte sie ihrer Schwester an den Kopf geworfen, wie spießig sie geworden war – sogar noch schlimmer als ihre Mutter –, aber das wäre dann doch zu beleidigend gewesen.
Es war das Beste, sie zu ignorieren und sich mit dem gereizten Schweigen auf der langen Autofahrt nach Havanna abzufinden. Vielleicht würde sie sogar ein paar Stunden Schlaf kriegen – sie hatte es nötig!
Gemeinsam mit dem Gepäckträger lief Emma nach unten in die Halle.
Sie stand gerade an der Rezeption, als Felipes vertraute Gestalt erschien.
»Buenos días, Emma.«
Emma errötete, aber im Grunde war sie nicht überrascht, ihn wiederzusehen. Sie hatte so eine Ahnung gehabt, dass er sie nach Havanna bringen würde, und fragte sich, ob er es vielleicht so gedeichselt hatte.
»Felipe! Fahren Sie uns nach Havanna?«
»Ja, heute ist ein guter Tag für Havanna.«
»Jeder Tag ist ein guter Tag für Havanna«, mischte sich der Portier ein und lachte herzhaft.
»Möchten Sie vorne sitzen?«, fragte Felipe, als sie sich dem Wagen näherten.
»Ja, sehr gerne. Da sieht man mehr.«
»Ich kann für Sie den Reiseführer spielen.«
Alles andere als begeistert, dass Felipe wieder aufgetaucht war, schlurfte Sophie hinter ihnen her. Ihr war nur daran gelegen, es sich auf dem Rücksitz gemütlich zu machen.
Sie fuhren los über die lange, schmale Zufahrtsstraße, die sie auf die Hauptstraße nach Matanzas führte.
»Wenn Sie möchten«, schlug Felipe vor, »können wir anhalten und den Raubvögeln beim Fliegen zusehen.«
»Das klingt gut«, meinte Emma und warf einen Blick auf die Gestalt, die zusammengerollt auf dem Rücksitz lag.
Wenige Minuten später schlief Sophie tief und fest. War wohl auch besser so.
Bei Tageslicht war die Fahrt nach Havanna um vieles aufschlussreicher als nach ihrer Ankunft am Flughafen José Martí. Die üppig grüne Vegetation erinnerte sie an zu Hause.
Felipe bog scharf ab, fuhr eine steile, schmale Straße zu einem Aussichtspunkt hinauf, der die Hälfte der Strecke zwischen Varadero und Havanna markierte, und hielt auf dem Parkplatz. Wie für Kuba typisch, musizierte eine Gruppe Einheimischer vor einer kleinen Bar mit angrenzendem
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