Havanna für zwei
Laden und nahm ein paar Münzen von den Touristen entgegen, die ebenfalls hier angehalten hatten, um die wunderbare Aussicht zu genießen. Wilde Raubvögel mit riesigen Flügelspannweiten stiegen auf und vollführten Sturzflüge ins Tal.
»Kaffee?«, fragte Felipe.
Emma nickte. Sie liebte den Klang seiner Stimme, wenn er das sagte. Seine schwarze Mähne und das unrasierte Gesicht verliehen ihm einen verruchten Sexappeal.
»Dos« , bat Felipe, und die Kellnerin hinter der Theke reichte ihnen die Tässchen, ohne dafür Geld zu verlangen.
Sie tranken ihre Espressos.
»Sehen wir uns die Vögel an«, schlug er vor.
Gemeinsam liefen sie zu dem blauen Geländer vor dem Café, wo einer der Raubvögel durch die Luft wirbelte und ihnen eine tolle Show bot. Ein weiterer schloss sich an, und das Viadukt und die massive Brücke, die sie gerade überquert hatten, boten einen spektakulären Hintergrund für das Schauspiel.
»Jetzt verstehe ich, warum so viele Leute hier anhalten, um sich das anzusehen.«
»Es ist praktisch für die Regierung, weil sie die Touristen dazu bringen, in dem Café etwas zu trinken.«
»Ist es Eigentum der Regierung?«
Felipe lachte ein bisschen. »Alles ist Eigentum der Regierung!«
»Ihr Englisch ist ausgezeichnet, Felipe. Wo haben Sie das gelernt?«
Felipe zuckte bescheiden mit den Achseln. »In der Schule und …« Er zögerte. Er wollte Emma noch nicht so viel über sich erzählen. »Ich übe mit den Leuten, die ich umherfahre.«
Er trank auch das letzte Tröpfchen aus seiner Espressotasse und bedeutete Emma, ihm zurück zum Wagen zu folgen.
»Wie weit ist es noch bis Havanna?«
»Etwa eine Stunde. Sie haben mich nach Cojímar gefragt. Möchten Sie es sehen?«
Das klang für Emma wie Manna in der Wüste. Cojímar war das Dorf, in dem Hemingway mit seinem Boot zum Fischen rausgefahren war.
»Ist das für Sie kein Umweg?«
Felipe zuckte mit den Achseln. »Etwa zwanzig Kilometer.«
»Kriegen Sie deswegen Schwierigkeiten?«
Felipe lachte. »Ich kann ja behaupten, dass ich eine Autopanne hatte. Das passiert oft.«
Emma war klar, dass er ein Risiko einging, um ihr eine Freude zu machen, aber diese Gelegenheit konnte sie sich nicht entgehen lassen.
Sophie schlief immer noch fest. Offensichtlich hatte sie in der Nacht zuvor ihren Spaß gehabt. Vielleicht würde sie erst wach, wenn sie schon in Havanna waren.
Ungefähr nach einer halben Stunde bog Felipe von der Hauptstraße nach rechts ab. Die Gegend, durch die sie jetzt kamen, ließ sich als arm und vorstädtisch bezeichnen. Emma bekam eine Kostprobe davon, wie die Mehrheit der Kubaner lebte. Die Wohnblöcke waren heruntergekommen und vernachlässigt, mit Wänden, von denen knallbunte Anstrichfarbe abblätterte.
Felipe hielt an einer Tankstelle und füllte den Tank. Niemand verlangte Geld von ihm – genau wie in dem Café eben. Für Europäer war es merkwürdig, wie das System funktionierte, aber sein Status als Taxifahrer und das Wappen am Wagen reichten anscheinend aus, um auf eine Bezahlung zu verzichten.
»Die Tankstelle ist Eigentum der …«
»Regierung!«, beendete Emma den Satz. »Ich glaub, ich hab’s kapiert.«
Nach weiteren zehn Minuten Fahrt kam das Meer wieder in Sicht. Die Straße fiel sanft ab, und sie kamen durch ein kleines, verschlafenes Dörfchen wie die anderen, an denen sie unterwegs vorbeigefahren waren. Hier jedoch gab es eine hübsche Bucht, in der kleine Fischerboote festgemacht waren, und am hinteren Ende des Hafens eine Festung, ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit. Der obere Teil der Hafenmauer und die Poller waren in leuchtendem Taubenblau gestrichen – eine Farbe, von der Felipe ihr versichert hatte, sie bekäme sie in Havanna oft zu sehen.
»Möchten Sie die Statue von Hemingway sehen?«
»Sehr gerne, das wäre toll.«
Sie ließen die Autofenster einen Spalt offen, damit Sophie Luft bekam. Emma hatte das Bedürfnis nachzusehen, ob sie noch am Leben war, bevor sie sie im Wagen zurückließen und sich auf den kurzen Fußweg zu dem Denkmal begaben.
»Hier hat Santiago gewohnt. Der alte Mann aus der Hemingway-Novelle«, erklärte Felipe.
»Ah, Der alte Mann und das Meer ! Mir gefällt dieses Buch so sehr! Ich habe es in der Schule gelesen.«
»Die Fischer waren sehr stolz auf Hemingway. Er war ihr Freund. Als er starb, trugen sie Metallteile ihrer Boote und Haken und Anker zusammen und bauten daraus diese Statue.«
Die besagte Büste kam jetzt in Sicht, und sie stiegen die wenigen niedrigen
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