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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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hätte besser eine Anstellung als Kurarzt suchen sollen, als sich in die Zentrale des Grauens zu begeben. Dafür hatte er zu dicht am Wasser gebaut.
    »Das ist das wahre Leben, nicht die bunten Farbbilder in den Lehrbüchern«, sagte Bremer und zog sich einen Stuhl heran.
    »Da könnten Sie Recht haben. Ist wohl nicht meine Welt.« Von Gohlsberg sah aus seiner Sitzposition zu ihm hoch. »Trotzdem danke ich Ihnen für Ihre Unterstützung. Ich wäre nie auf diese Todesursache gekommen.«
    »Kein Problem«, sagte Bremer.
    »Hatten Sie so etwas schon mal?« Von Gohlsberg zog die Beine ans Gesäß.
    »Eine Zeit lang jede Woche. Es war, als hier der Pflegenotstand ausgebrochen war. Viele ältere Menschen sind da in ihren Heimbetten erbärmlich verdurstet.« Bremer wandte seinen Blick zum Sektionstisch. »So wie der Junge da drüben.«
    Von Gohlsberg griff neben sich, hob einen Flachmann hoch und prostete Bremer zu. Für einen Außenstehenden konnte der Eindruck entstehen, alle Rechtsmediziner seien Flaschenkinder.
    »Prost«, sagte er und trank einen mächtigen Schluck. »Ab sofort trinke ich wieder mehr.«
    Bremer nahm seinem Kollegen die Flasche aus der Hand und roch daran. Blankes Wasser. Er nahm einen Schluck und schüttelte sich. »Wir müssen alle viel mehr trinken.« Er reichte von Gohlsberg die Flasche zurück.
    Eine halbe Stunde später war der Berliner Kollege weg und Bremer mit der undurchsichtigen Situation allein. Was sollte er davon halten? Als die LKA-Leute in der Nacht wie Lemminge in den großen Sektionssaal geströmt waren, hatte er ein anstrengendes Palaver und Streit um jeden Satz des Berichtes erwartet, ebenso Vorbehalte gegen ihn als Provinzmediziner und unendliche Belehrungen. Doch all das war ausgeblieben, und von Gohlsberg hatte sich sogar bei ihm bedankt.
    Trotzdem hatten sie alles mitgenommen und mittels einer CD seine gesamte Festplatte gelöscht, wie er gerade feststellen musste. Nicht eine Puseratze war mehr drauf, nicht der kleinste Tastenanschlag spiegelte sich irgendwo wider. Bremer schob den Kopf in den Nacken und überlegte, wann sie das hatten tun können? Eigentlich nur, als dieser smarte Jüngling sich an seinen Arbeitsplatz gesetzt und wie ein Irrer angefangen hatte, auf der Tastatur herumzuhämmern. Bremer hatte dem nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet, ein Fehler, wie sich nun herausstellte. Von wegen, wir ziehen am selben Strang. So hatte sich der Chef der Mission ausgedrückt, wozu Bremer den Mann krönte, der sich als Kriminaldirektor Ludwig vorgestellt hatte. Ein Mann in mittleren Jahren, harte Züge um Mund und Augen, Sonnenbrille und wie alle anderen, weißes Hemd zum dunklen Anzug.
    In Bremers Bauch grummelte es. Irgendetwas war hier faul im Staate Dänemark, nur wusste er nicht was. Aber er wollte es auf jeden Fall herausfinden.

20
    Manzetti war an diesem Morgen sehr früh wach geworden. Überhaupt war die gesamte Nacht überaus unruhig verlaufen, und die Schlaflosigkeit steckte ihm noch immer in allen Gliedern. Zwar war er erst achtundvierzig Jahre alt, aber er fühlte sich, als wäre er ein steinalter und kranker Mann.
    Dagegen half nur Arbeit. Also hatte er sich vorhin, als Kerstin mit den Mädchen das Haus verlassen hatte, die Gartenrobe angezogen. Die bestand aus einem verblichenen T-Shirt mit dem nur noch zu ahnenden Konterfei des schiefen Turms von Pisa, zerrissenen Jeans und einer hochprofessionellen Gärtnerweste. In den gut ein Dutzend Taschen und Schlaufen steckte aber lediglich ein Taschenmesser und eine angebrochene Tüte Werthers Echte. Über den nackten Füßen trug er ein paar Gummischlappen.
    Von der Kellertür aus ging er die drei Stufen hoch und lugte auf die in Brusthöhe beginnende Terrasse. Eigentlich müsste dort jetzt Julius Cäsar sitzen, aber vom Manzettikater fehlte jede Spur. Er saß nicht einmal unter dem Tisch.
    Manzetti ging weiter bis an den Grundstückszaun und rief in die zum Trichter geformten Hände: »Julius … Julius Cäsar … Mulle, Mulle, Mulle.«
    Nichts. Keine Antwort, kein aufgestellter Katzenschwanz, kein biegsamer Körper, der sich um einen Baum wand. Auch der suchende Blick zu den beiden Hausecken brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Seine Majestät, der Kater, blieb verschwunden. Manzetti spürte eine neue Nervosität in sich aufsteigen. Baute sich hier etwa das nächste Problem auf?
    Kerstin hatte ihn derb gescholten, als er den verwöhnten Hauskater bereits nach einer Woche ins Freie gelassen hatte. Sie meinte, dass er

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