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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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hatte, stand die Hautfalte auf der Hand so steil nach oben, als hinge sie an einem unsichtbaren Faden. »Der Junge ist so trocken wie ein versandeter Brunnen.«
    Manzetti ging um den Tisch herum und zog an der anderen Hand ebenfalls eine Hautfalte hoch. Auch die blieb stehen, wie von Geisterhand geführt.
    »Was bedeutet das?«
    Bremer räusperte sich. »Der Tod trat durch Exsikkose ein. Zu gut Deutsch: Austrocknung.«
    Manzetti schüttelte den Kopf. »Das ist doch nicht neu. Du hast das schon an der Wand erwähnt. Da, wo der Junge gefunden wurde. Was also ist neu?«
    »Man muss nachgeholfen haben«, behauptete Bremer. »Der tägliche Wasserbedarf des Menschen liegt im Normalfall bei ein bis zwei Litern pro Tag. Bei Hitze oder körperlicher Anstrengung steigt er natürlich. Ab einem Wasserverlust von zwei Prozent verspürt man Durst. Ab zehn Prozent treten Sprachstörungen und unsicherer Gang ein. Trinkt man dann immer noch nichts, ist man spätestens nach drei Tagen mausetot.«
    »Dehydration, ja, das habe ich verstanden. Aber warum muss nachgeholfen worden sein?«
    »Rechne doch mal nach. Wenn er wirklich durch Verdursten gestorben ist, seine Eltern ihn aber noch am Sonntag gesehen haben, hätten wir ihn erst morgen oder übermorgen finden dürfen. So schnell tritt die Exsikkose nur ein, wenn man ihn zum Beispiel in eine Sauna gesteckt und die Tür verriegelt hat.«
    »Das kann doch alles sein«, murmelte Manzetti. »Dann hat man ihn also erst verdursten lassen, von mir aus auch in einer Sauna, und anschließend das Herz herausgerissen. Ich kann nur deiner Verschwörungstheorie nicht folgen. Was haben die Leute vom LKA damit zu tun?«
    Bremer drehte sich zur Seite und nahm vom Beistelltisch eine handtellergroße Keramikschale. »Warte es ab. Ich hab noch was für dich. Das hier habe ich in den Hosentaschen des Jungen gefunden.«
    Manzetti sah auf die Schale. »Obstkerne.«
    »Richtig. Und er hatte auch eine Handvoll davon im Mund, der im Übrigen heftige Verletzungen am Oberkiefer und an der Zunge aufweist. Merkwürdig, oder?« Er sah Manzetti an. »Als hätte man ihm den Mund mit einem scharfkantigen Metallteil auseinandergedrückt.«
    »Bremer, könntest du jetzt bitte zu des Pudels Kern kommen.«
    In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Flur und ein junger Mann betrat den Sektionssaal.
    »Das ist Haralds Sohn«, erklärte Bremer. »Er ist für ein paar Tage in Brandenburg und hütet Papas Wohnung, solange der im Urlaub ist. Sebastian ist ein Genie, wenn es um Computer geht. Mit einem von ihm selbst geschriebenen Programm hat er meine Festplatte wiederhergestellt und du wirst nicht glauben, was wir darauf gefunden haben.«
    »Ihr werdet es mir bestimmt gleich erzählen.«
    »Sebastian«, wandte sich Bremer an den jungen Mann. »Hast du den Obduktionsbericht ausgedruckt?«
    »Ja«, sagte Haralds Sohn und reichte Bremer einen Stapel DIN-A4-Blätter.
    »Hier.« Bremer hielt Manzetti den Bericht hin. »Du wirst kein einziges Wort von Exsikkose finden und auch nichts über die Obstkerne. Als hätten sie nie existiert. Sie haben meinen Bericht einfach manipuliert.«
    »Und woran ist er demnach gestorben?«
    »Halsschnitt. Quer über den Kehlkopf, von rechts nach links verlaufend, mit einer scharfen Klinge ausgeführt und bis auf die Halswirbelsäule gehend.« Bremer ließ die Hand mit dem Obduktionsbericht sinken und sah Manzetti mit großen Augen an. »Glaubst du mir nun?«

21
    Das Anwesen von Thomas Böttger war nicht älter als sein Imperium. Vor nicht einmal zehn Jahren in den märkischen Sand gebaut, zog die weiße Villa schon von Weitem die neidischen Blicke der Betrachter an. Da, wo früher Vogelmiere über den Boden kroch und Schafgarbe in dichten Büschen wuchs, standen heute mannshohe Rhododendronstauden, die in allen erdenklichen Farbtönen blühten und ihren Verwandten im Wörlitzer Park in nichts nachstanden. Weiße Kieswege schlängelten sich über sattgrüne Rasenflächen.
    »Womit hat er eigentlich sein Geld verdient?«, fragte Karin Sommer, als sie aus dem Auto stieg und die Fototasche über die Schulter hängte.
    »Bau«, antwortete Wegmann und folgte der Kollegin in Richtung des geschmiedeten Eisentores. »Von seinem Vater vor zehn Jahren übernommen, hat er den Baubetrieb zu dem wohl bedeutendsten Unternehmen in der Region gemacht. Man sagt, dass er heute allerdings das meiste Geld durch Aktien verdient.«
    »Dann werden wir uns jetzt als Eingangsstatement anhören müssen, wie ihm die letzte

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