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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Börsenkrise zu schaffen gemacht hat.«
    »Das glaube ich eher nicht. Es heißt, dass ihn das überhaupt nicht gejuckt haben soll. Im Gegenteil. Böttger hat sein Vermögen noch verdoppelt.«
    Karin Sommer hob die Hände. »Es gibt eben doch immer wieder Leute, die jedes Mal auf die Füße fallen. Was hat er eigentlich alles gebaut, der Herr Böttger?«
    Wegmann zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. In Brandenburg selbst wohl nichts. Aber er soll den Generalauftrag für den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses haben. Das spült dann noch einmal Millionen in seine Kassen.«
    Mittlerweile waren sie am Tor angekommen, und Wegmann studierte das Schild an der computergestützten Klingelanlage mit Wechselsprechvorrichtung, Kugelkamera und neben dem Klingelknopf weiteren Tasten, deren Sinn sich ihm auf den ersten Blick nicht erschloss. Er unterließ es, sich darüber weitere Gedanken zu machen, und drückte auf den Messingknopf unter dem Namen Böttger.
    »Ja, bitte«, erklang umgehend eine Altstimme durch den Lautsprecher. Die Stimmlage ließ Wegmann unweigerlich an eine streng frisierte, zugeknöpfte Gouvernante denken.
    »Frau Sommer und Herr Wegmann vom Märkischen Kurier. Herr Böttger bat uns um einen Besuch«, sagte er.
    »Schön, dass Sie da sind.« Dann summte die Elektrik des geschmiedeten Eingangstores.
    Wegmann machte einen Schritt nach vorn und betrat das erste Mal in seinem Leben das Reich eines Multimillionärs. Sein Blick lief über den Golfrasen bis zum Zaun. Hohe Tannen boten dort nicht nur gründlichen Sichtschutz, sondern auch ein geeignetes Versteck für die zahlreichen Überwachungskameras. Wegmann entdeckte sie nur, weil sie sich bewegten und jedem ihrer Schritte folgten. Hier kommst du als Dieb nicht mal bis zum Kellerfenster, dachte er. Ihm schoss eine Szene aus einem James-Bond-Film in den Kopf, in der ähnliche Kameras unangemeldete Besucher ins Visier nahmen und sich anschließend in ein Maschinengewehr verwandelten. Letzteres würde hier hoffentlich nicht passieren.
    Auf der obersten Stufe des Eingangsportals wartete schon eine Dame in einem schwarzen Hosenanzug und einer blütenweißen Bluse. Wegmann blinzelte in die tief stehende Sonne und stellte sich vor, dass sie unter der weit geschnittenen Hose schwarze Strapse und einen Strumpfhaltergürtel aus roter Spitze trug.
    »Herzlich willkommen im Hause Böttger«, sagte die etwa vierzigjährige Frau mit der Altstimme aus der Wechselsprechanlage. »Ich bin die persönliche Sekretärin von Herrn Böttger und darf Sie zunächst in die Bibliothek führen.« Sie wies mit ihrer zartgliedrigen Hand den Weg ins Innere der Villa und ließ die beiden Journalisten vorangehen.
    Im Eingangsfoyer, einem Saal, der ohne Probleme Wegmanns gesamte Wohnung geschluckt hätte, blieb die Sekretärin stehen und faltete die Hände vor dem Bereich, in dem Wegmann den Strumpfhaltergürtel vermutete. Sie räusperte sich gekünstelt.
    »Herr Böttger bittet Sie noch um ein wenig Geduld. Er wollte nach seiner Frau sehen, Sie wissen ja … Der schmerzliche Tod von Nepomuk nimmt Frau Böttger natürlich sehr mit. Da ist es gut, einen so starken und treu sorgenden Mann an seiner Seite zu wissen.«
    Wegmann kniff ganz leicht ein Auge zu. Was soll das hier eigentlich werden? Eine Wahlkampfveranstaltung für Thomas Böttger? Er drehte sich zur Seite und suchte den Blick von Karin. Aber die hatte bereits eine ihrer Kameras ausgepackt und richtete sie auf eine bunte Bodenvase.
    Die Sekretärin von Thomas Böttger, deren Namen Wegmann noch immer nicht wusste, trat zu der Fotografin. »Das ist eine Vase im Famille-Rose-Stil. Sie stammt aus der Manufaktur von Jingdezhen, frühe Qing-Dynastie. Etwa Anfang des achtzehnten Jahrhunderts.«
    Wegmann sah zwischen den beiden Frauen hindurch. Für ihn war das Ding einfach eine glasierte Bodenvase, rot-weiß mit reichlich kitschigen Ornamenten, die er sich nie und nimmer in die eigene Wohnung gestellt hätte. Wer weiß, ob das Teil nicht frühes einundzwanzigstes Jahrhundert war, aus der Manufaktur »Made in Taiwan«.
    »Ist die echt?«, fragte Karin und schoss sogleich die nächsten zwei Dutzend Fotos.
    »Herr Böttger erhielt die Vase als Geschenk von einem chinesischen Geschäftspartner. Er hatte keinen Grund an der Echtheit zu zweifeln, aber die Versicherung bestand auf einem Thermolumineszenz-Test. Seither gibt es für die Vase ein Zertifikat, das als Herstellungsdatum das Jahr 1712 benennt.«
    Aha, dachte Wegmann. Und wenn ich

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