Havelgeister (German Edition)
dagegen trete, verspiele ich wahrscheinlich ein ganzes Jahresgehalt.
»Sagen Sie«, wandte er sich an die Sekretärin. »Haben so reizende Geschöpfe wie Sie auch einen Namen, oder steht in Ihrem Pass: Sekretärin von Herrn Böttger?«
Die Dame in schwarz sah zu Wegmann, ohne ihr Dauerlächeln einzustellen. »Bitte entschuldigen Sie. Ich hatte ganz vergessen, mich vorzustellen. Dr. Sabine von Alvensleben.«
»Von Alvensleben?«, fragte Karin. »Kann es sein, dass ich diesen Namen in Verbindung mit der Ritterakademie schon einmal gehört habe?«
»Ja«, freute sich Frau von Alvensleben über so viel Anteilnahme. »Meine Familie steht schon sehr lange in den Diensten der Preußischen Könige.«
Wegmann war überrascht und zugleich hoch wachsam geworden. Und wenn du mir jetzt erzählst, flüsterte er sich lautlos zu, dass einer deiner Vorfahren am Widerstand um Stauffenberg beteiligt war, dann haue ich dir deinen Onkel Ludolf-Hermann um die Ohren. Ludolf-Hermann von Alvensleben war NSDAP-Reichstagsabgeordneter gewesen und Generalleutnant der Waffen-SS. Wegmann hatte das im Zusammenhang mit einem Artikel recherchiert, der die Rolle des deutschen Adels während des Dritten Reiches beleuchtete.
»Aber dazu kann Ihnen Ihr reizender Kollege sicherlich mehr erzählen«, sagte Sabine von Alvensleben, Wegmanns Blick mit einem leicht arroganten Augenaufschlag erwidernd. »Er hat ja bereits über meine Familie geschrieben, wenn auch ziemlich voreingenommen und aus einer Position zurückhaltender Intelligenz.« Ohne Wegmann die Chance auf eine Erwiderung zu lassen, führte sie die Gäste des Hauses in die Bibliothek und bot den beiden Journalisten an, Platz zu nehmen.
Wegmann kochte. Was bildete sich diese Schnepfe überhaupt ein? Es war euer Krieg, und es waren meine Vorfahren, die als arme Bauern unter russischer Erde verscharrt wurden. Als er gerade ansetzen wollte, ihr das in aller Deutlichkeit klarzumachen, öffnete sich rechts von ihm eine Seitentür.
Thomas Böttger betrat den Raum. Ein Mann mit einer unglaublichen Präsenz.
22
Bremer hatte sich zu Manzetti ins Auto gesetzt und schüttete den Teil der Obstkerne, den er den Leuten vom LKA unterschlagen hatte, von einer Hand in die andere. »Von welchem Obst mögen die sein? Vielleicht von der Birne? Was meinst du?«
Dafür reichten Manzettis Neubauer-Kenntnisse nicht aus. »Das haben wir gleich«, sagte er, startete den Motor und war erstaunt darüber, wie schnell ihm eine Lösung eingefallen war. Ketzür sei Dank.
In seinem neuen Heimatdorf bog er gleich hinter der Kirche links ab und wäre fast in einen alten Handwagen gerutscht. Bremer schrie vor Schreck laut auf. Irgendein Trottel musste den Karren direkt vor der Mosterei auf die Straße gestellt haben. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Manzetti das Gefährt seines Nachbarn.
»Aussteigen und gleich mal eine Kiste geschnappt«, kommandierte Paul auch schon, als er aus dem Anlieferbereich der Mosterei gestiefelt kam. »Los, los, die müssen alle hier rein, und ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Paul«, protestierte Manzetti, »wir sind hier nicht zum Spaß oder aus Langeweile. Wir haben zu tun.«
Aber Paul war offensichtlich anderer Meinung. Er stemmte die fleischigen Hände in die Hüften und sah Manzetti an, als hätte der in einer vollkommen fremden Sprache geredet. »Ja glaubst du denn, ich würde hier zum Spaß stehen?« Paul klatschte zwei Mal in die Hände und schob sowohl Bremer als auch Manzetti zu seinem Gummiwagen. »Nun macht schon, ich habe noch mehr zu tun. Wenn ihr keine großen Pausen einlegt, könnt ihr in zehn Minuten fertig sein.«
Dann wandte sich Paul an den Eigentümer der Mosterei. »Stefan, gib ihnen mal eine Schürze, sonst machen sie sich ihre feinen Stadtsachen schmutzig.« Der alte Schiffer drehte sich wieder zu Manzetti und tastete mit den Augen die Bügelfalten des Polizisten ab. »Wie du wieder rumläufst, Junge. Du bist hier auf dem Dorf und nicht auf’m Kudamm.«
Als Paul und Stefan hinter dem Tor der Anlieferzone verschwanden, traf Manzetti Bremers hilfloser Blick. »Wir haben keine Wahl«, erklärte er und nahm die erste Kiste vom Wagen.
Sie ließen sich einen Platz zuweisen, an dem sie die Kisten zu stapeln hatten, machten jeder vier Gänge, ohne das kleinste Danke oder wenigstens ein anerkennendes Kopfnicken zu ernten. Das war moderne Sklaverei, die bereits erste Schweißtropfen auf Bremers Stirn trieb.
Als Nachbar Paul sich anschickte, erneut Luft für
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