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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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oder unbeabsichtigt aus den Dekolletés kullerten und die Damen lächelnd zugriffen, um die Verpackung wieder an die richtige Stelle zu ziehen. Gerade beugte sich die Schöneberger bei Harald Schmidt aus dem Sessel, und Wegmann war gespannt, ob die pralle Oberweite der Entertainerin gleich das Weite suchen würde.
    Aber wie immer bei Promis, war das Video genau an der Stelle zu Ende, wo es spannend wurde. Er klappte sein Notebook zu und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Dann also an die Arbeit. Riethmüller wollte noch heute den ersten Artikel sehen. Er legte die Füße auf den Schreibtisch und benutzte die Oberschenkel als Ablage für die Blätter, auf denen er sich Notizen über den Fall Nepomuk Böttger gemacht hatte.
    Was hatte er bislang? Es gab kaum mehr Zweifel daran, dass der Böttgerspross der Urheber des riesigen Graffitis auf dem Domdach war. Das bestätigte sowohl sein Kollege Winkler, der nahe an der Graffitiszene dran war, als auch Wegmanns Mann bei der Polizei. Er machte einen Haken hinter diese Notiz. Bestätigt.
    Was hatte er noch? Den Domraub, diesen … Er musste umblättern, um das Wort zu finden. Ja, richtig: Codex Sinaiticus.
    Wegmann stellte sich vor, wie dieses verwöhnte Bürschchen nach Hause kam und dem Vater stolz den Codex präsentierte. Schau her, ich bin genauso eine coole Sau wie du. Dazu würde auch passen, dass die Mutter des Burschen den Erlös aus dem Verkauf des Codex nun verteilte, weil sie kein Blutgeld im Hause haben wollte. Außerdem glaubte eine Mutter bis zuletzt an die Unschuld des eigenen Sohnes. Trotzdem machte Wegmann hinter diese Passage ein Fragezeichen.
    Weiter. Nepomuk Böttger wurde ermordet und, wie es hieß, ausgeweidet. Doch diese Info stellte sich schnell als Übertreibung der Streifenbullen heraus, die mal wieder drei Tropfen Blut zu einer nicht versiegenden Quelle sowie einen sauberen Halsschnitt zu einer Schlachtung gemacht hatten. Und Karin hatte das natürlich geglaubt, als sie den Polizeifunk abhörte. Typisch Frau.
    Aber warum hatte man den Bengel umgebracht und vor allen Dingen wer? Waren die Jungs der Crew wirklich in Streit geraten, als sie mitbekommen hatten, dass sie genau wie ihre Alten von einem Böttger gelinkt worden waren? Unwahrscheinlich war das nicht. Nur tragisch vielleicht, denn hier bezahlte der Sohn für die Missetaten des Vaters gleich mit.
    Wegmann zog um diese Sätze einen großen schwarzen Kreis. Hier war sein Zentrum. Ob Riethmüller das wollte oder nicht. Er, Henry Wegmann, würde der Nagel am Sarg von Thomas Böttger sein. Der erste Journalist, der nicht vor dem Baulöwen und seinen politischen Verbindungen kuschte. Genau! Investigativer Journalismus – das war Wegmanns Acker, den er zu bestellen gedachte.
    Mit einem breiten Grinsen notierte er sich zwei Namen. Kevin Schuster und Lara Manzetti, wobei er mit dem Jungen beginnen wollte. Die Manzettitochter schien ihm noch zu gefährlich. Um an sie heranzutreten, musste er erst etwas gegen den Vater in der Hand halten. Vielleicht ein bisschen Koks in den Taschen seines feinen Anzuges oder etwas zu viel Promille hinterm Steuer. Irgendeine Sache, die sich dann vernichtend ausschlachten ließ. Vielleicht konnte er Manzetti aber auch ein bisschen mit seinem versoffenen Kumpel erpressen. Dieser Rechtsmediziner musste doch irgendwo eine Leiche versteckt haben.
    Als Wegmann gerade den Entschluss gefasst hatte, zuallererst bei Kevins Mutter aufzuschlagen und zu fragen, was sie mit der ganzen Böttgerkohle anzufangen gedachte, klopfte es an der Tür.
    »Guten Tag«, sagte ein Kopf, der den Rest des Körpers noch auf dem Flur gelassen hatte. »Henry Wegmann?«, fragte der junge Mann und trat ein. Seiner Kleidung nach war er ein Fahrradkurier.
    Wegmanns Augen fielen sofort auf die durchtrainierten Waden, die durch die Dreiviertelhosen nur mäßig verdeckt wurden. »Ja, der bin ich. Was gibt’ s denn?«
    »Ich habe hier einen Brief, den ich nur an Sie persönlich aushändigen darf.«
    Der Fahrradkurier holte einen DIN-A4-Umschlag aus dem gummierten Rucksack, indem er den Arm sehr gelenkig neben dem Kopf entlangführte. Es sah ein bisschen so aus wie bei Robin Hood, wenn der einen Pfeil aus dem Köcher zog.
    »Muss ich mich ausweisen oder reicht das Türschild draußen auf dem Flur?«
    Der Kurier kam bis zu Wegmanns Schreibtisch, den Umschlag fest in der Hand. »Ausweis wäre echt nicht schlecht.«
    Wegmann gab nach und nestelte in seiner Brieftasche, bis er endlich seinen Personalausweis

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