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Havelgeister (German Edition)

Havelgeister (German Edition)

Titel: Havelgeister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Nass über seinen Scheitel in sein Gesicht ergoss, und versuchte gierig, mit der Zunge wenigstens einen Tropfen aufzufangen. Aber das ging nicht. Die Zunge stieß gegen eine scharfe Kante und erinnerte ihn schmerzhaft daran, dass noch immer eine Mundbirne seine Kiefer spreizte und dabei messerscharf in den Gaumen schnitt.
    »Nimm eine Schlugg«, sagte die Stimme. »Du musst trinken, nicht wahr?«
    Vielleicht folgte sein Gehirn einer Eingebung oder es war das surrende Geräusch. Jedenfalls kniff Kevin die Augen zu, noch bevor das Ende eines Wasserschlauches mit voller Wucht gegen seinen rechten Oberarm krachte.
    »Das für Vater … und das …« Wieder surrte der Schlauch durch die Luft, » … das für Großmutter.«
    Als die Haut an Kevins Oberarm aufplatzte, schnaufte er heftig gegen die Mundbirne und hätte geschrien, wäre er dazu in der Lage gewesen.
    »Hast verstanden du?«, fragte die Stimme.
    Kevin wollte nicken, aber die Halskrause ließ das nicht zu.
    »Hast verstanden du, Hurensohn?«
    Von purer Angst ergriffen, suchte Kevin den Raum ab und nahm im Augenwinkel eine Gestalt wahr, die gerade wieder ein Stück Gartenschlauch über den Kopf hob. Schnell quetschte Kevin ein schmerzhaftes Hmmm heraus und hoffte, dass dem Mann das als Antwort genügen würde.
    Doch das tat es nicht. Der Schlauch knallte auf seinen nackten Oberschenkel und ließ Kevin aufheulen wie einen heiseren Wolf. Der Schmerz brannte, als hielte jemand sein Bein direkt in einen brennenden Kamin. Als das Echo seiner eigenen Stimme verhallt war, riss Kevin die Augen auf und spähte wieder zur Seite. Aber da war nichts mehr. Nur eine dunkle Wand, von der trockene Wärme herüberströmte.
    Durch Kevins Körper zuckte ein schwerer Schüttelfrost. Es ging ihm hundeelend und seit langem weinte er wieder einmal. Weil sein verdörrter Leib keine Tränen mehr hatte, musste er das trocken tun. Dann knallte der Gartenschlauch von der anderen Seite auf seinen linken Oberarm.

32
    Frau Freitag klemmte wie immer hinter ihrem Schreibtisch und tat, was sie zu tun hatte, solange sie keine Akten für Direktor Claasen heraussuchen sollte und das Telefon still stand. Sie feilte die in einem lasziven Rot lackierten Fingernägel und lächelte.
    »Sie werden schon erwartet, Herr Manzetti«, hauchte sie.
    »Ist Claasen auch mit drin?«
    Frau Freitag schüttelte so dezent den Kopf, dass ihre Mireille-Mathieu-Frisur davon kaum Kenntnis nahm. »Der Herr Direktor hat einen Außentermin und deshalb dem LKA sein Büro zur Verfügung gestellt.«
    »Aha«, sagte Manzetti und nahm die Türklinke in seine kräftige Hand. »Dann wollen wir mal.«
    Mit einer Mischung aus satter Energie und noch mehr Frust öffnete er die Tür zu Claasens Büro und rief ein lautes Guten Morgen in den Raum. Sie sollten ruhig glauben, dass für ihn der Tag erst zu dieser Stunde begann, seine Reserven also noch kaum verbraucht waren, auch wenn es in der Realität ganz anders aussah.
    »Guten Tag«, grüßte Kriminaldirektor Ludwig etwas verhaltener zurück.
    Der Abteilungsleiter Staatsschutz im LKA saß ganz allein in Claasens Büro. Er schob die vor ihm stehende Kaffeetasse in die Mitte des Tisches, wohin Frau Freitag die Thermoskanne sowie den Zucker und die Kaffeesahne gestellt hatte.
    »Möchten Sie auch einen?«, bot Ludwig an und drehte mit seinen feingliedrigen, gut gebräunten Fingern den Verschluss der Kanne locker.
    Manzetti, mit dem Gefühl gesegnet, hier in drei Minuten wieder raus zu sein, lehnte dankend ab. Er folgte der Armbewegung Ludwigs und nahm ihm gegenüber Platz.
    Seine Augen tasteten den Tisch ab. Vor Ludwig lag nichts. Weder ein Notizblock, noch andere Utensilien, die geeignet wären, das nun kommende Gespräch niederzuschreiben. Es war auch kein Diktiergerät zu sehen, was Manzetti regelrecht verwirrte. Er blickte zur Seite, als müsste er dringend aus dem Fenster schauen, und versuchte, in der hinter ihm stehenden Schrankwand irgendein rot blinkendes Aufzeichnungsgerät auszumachen. Er kannte die Jungs vom Staatsschutz und natürlich auch ihre Methoden. Sie hielten wenig von Gedächtnisprotokollen, schon gar nicht, wenn sie wie Ludwig der Spitze des höheren Dienstes angehörten.
    »Keine Angst, Kollege Manzetti. Es sind weder eine Kamera, noch ein Tonbandgerät installiert. Auch will ich Sie nicht vernehmen, sondern mich nur mit Ihnen unterhalten.«
    Aha, dachte Manzetti, und ihm wurde schlagartig bewusst, auf was alles er in den letzten zwei Minuten nicht geachtet hatte.

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