Havelgeister (German Edition)
Und das als Profi in Sachen Vernehmung. Er hatte sich mit dem Rücken zu einer vollgestellten Regalwand setzen lassen, in der man alles an Elektronik unterbringen konnte, was der Handel und die Garküchen der Geheimdienste zur Verfügung stellten. Und er hatte die grelle Mittagssonne direkt in den Augen. Ohne Sonnenbrille gelang es ihm lediglich, die Umrisse Ludwigs auszumachen. Die Gesichtszüge des Staatsschützers blieben für ihn weitestgehend im Dunkeln. 1:0 für dich, musste er einräumen und nahm sich vor, von nun an die Sinne etwas zu schärfen und sich nicht weiter wie ein naives Kaninchen vor der Schlange zu gebärden.
»Worüber werden wir uns unterhalten?«, fragte Manzetti und versuchte, den Sonnenstrahlen zu trotzen.
Ludwig goss Kaffee ein und zog die Tasse wieder zu sich heran. »Wie geht es Ihrer Tochter?«
»Gut. Sie ist aus dem Koma aufgewacht und wird hervorragend versorgt.«
»Auch von Dr. Bremer, habe ich gehört.«
War das jetzt eine Fangfrage? Wenn Bremer eine Lebendbegutachtung machen sollte, dann doch wohl im Auftrag des LKA, die sich ja den Fall an Land gezogen hatten. »Das müssen Sie doch am besten wissen, oder? Führt nicht das LKA die Ermittlungen?«
Ludwig schwieg und drehte den dünnen Henkel der Kaffeetasse zur anderen, der linken Seite. »Wir führen die Ermittlungen im Falle des toten Nepomuk Böttger, weil dessen Tod anscheinend im Zusammenhang mit dem Raub des Codex Sinaiticus steht.« Er machte eine erneute Pause und drehte die Tasse zurück. »Sollten wir der Annahme folgen, dass auch Ihre Tochter damit etwas zu tun hat?«
2:0. Mit dieser Frage hatte der gewiefte Staatsschützer Manzetti wie einen bedrängten Boxer in die Ringecke gestellt, wo er nach Belieben auf ihn einprügeln konnte. Die Frage war nur, ging es Ludwig um den K.o. oder darum, dass Manzetti das Handtuch warf.
»Herr Manzetti, was ist? Sollten wir?«
Manzetti blieb keine Zeit zum Nachdenken. Jede Verzögerung würde ihn massiver in Bedrängnis bringen. »Nein«, sagte er knapp.
»Nein?«, wiederholte Ludwig, wobei er das Fragezeichen etwas zu stark betonte. Als hätte er nichts weiter zu tun, drehte der Kriminaldirektor die Tasse an ihrem Henkel wieder nach links. Da Manzetti, ohne Schaden für seine Augen befürchten zu müssen, nicht länger in die Sonne blicken konnte, folgte er den Fingern von Ludwig. Wenn du nicht gleich den Kaffee trinkst, ist er kalt.
»Warum sollten wir das glauben, Herr Manzetti? Warum?« Jetzt ging das Ringelreihen los. Ludwigs Stimme wurde aggressiver, und er schnellte plötzlich wie ein vorgespannter Bogen nach vorn. Seine Nase stieß fast an die Stirn von Manzetti. »Wir sind nicht dafür da, einem Kollegen und seiner wenig rechtstreuen Tochter den Rücken freizuhalten. Wir haben, falls Sie das in der Toskana vergessen haben sollten, Schaden vom Land Brandenburg abzuwenden. Ist Ihnen das klar?«
Manzetti war geschockt. Mit diesem Gefühlsausbruch hatte er nicht gerechnet. Aber das war noch lange nicht alles, was Ludwig auf Lager hatte.
»Und sollten Sie und Ihr versoffener Freund uns auch nur noch einmal in die Quere kommen, dann reiße ich Ihnen ganz persönlich den Arsch auf, bis Ihre Frau darin den nächsten Birnbaum pflanzen kann.«
Manzetti machte das Einzige, wozu er in diesem Moment in der Lage war. Er lehnte sich zurück und stellte damit einen erträglichen Abstand zu Ludwig her. Für einen kurzen Augenblick konnte er in die Augen seines Gegenübers sehen. Sie waren voller Verachtung.
Dann lief ein Blitz durch sein Gehirn. »Auf welcher Rechtsgrundlage werde ich observiert?« Er hatte sich mit einem Aufwärtshaken aus der Umklammerung befreit und schlug nun seinerseits auf den LKA-Mann ein. Als hätte ihn ein Insekt gestochen, riss er den Stuhl nach hinten und war mit einem einzigen Satz an der Tür.
»Frau Freitag, kommen Sie doch bitte mal«, rief er in Claasens Vorzimmer, ohne Ludwig auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen zu lassen.
Frau Freitag erschien kurz darauf mit ihrem üblichen Lächeln. »Was gibt es denn, Herr Manzetti?«
Manzetti zog die Sekretärin in das Büro und postierte die zierliche Frau vor die Schrankwand. »Sie kennen doch die Bücher unseres Direktors am besten. Schauen Sie sich die doch mal an und verraten mir, welches heute Morgen noch nicht hier gestanden hat. Ich glaube, Herr Ludwig hat hier irrtümlich eines hineingestellt und kann es nun nicht wiederfinden.«
Als Frau Freitag die Bücher durchzugehen
Weitere Kostenlose Bücher