Havelgeister (German Edition)
Zimmertür.
Im Arbeitszimmer suchte er ihren Blick. Es war offensichtlich, dass seine Mutter unter großer Anspannung stand, die sie gegenüber Paola nur oberflächlich kaschiert hatte. Jetzt aber, allein mit ihrem Sohn, war die aufgesetzte Freundlichkeit großer Besorgnis gewichen.
»Was ist das für eine Geschichte mit den Quittensamen?«, fragte Signora Manzetti und setzte sich.
»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Überall sind diese Samen. Im Mund des Opfers, im Haus, in dem es gelebt hat. Überall und immer nur in kleinen Mengen.«
»Und das Herz? Was ist damit?«
»Das hat man ihm herausgerissen, sagt Bremer. Nicht geschnitten, sondern gerissen. Wir fanden nur noch einen grauen Stein als Ersatz.«
»Du hast mir am Telefon gesagt, dass auf dem Stein etwas stand.«
»Ja.«
»Und was?«
»Wahrscheinlich sind es Initialen. S.B.«
Signora Manzetti atmete hörbar ein, dann biss sie die Zähne zusammen. »Andrea, wir haben es dir nie erzählt, aber deine Großmutter hatte eine bestimmte Gabe.«
Er sah zur Decke. War es nicht ein Aberwitz, womit ihm seine Mutter nun schon wieder kam? Seit sie in Rente war und sich ausschließlich um das Landgut kümmerte, hatte sie sich sehr stark verändert. Nicht unbedingt zu ihrem Vorteil, wie Manzetti immer wieder feststellen musste. Und dazu gehörte auch, dass sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit dieses spiritistische Zeug hervorkramte. So wie Paul es in der Mosterei getan hatte.
»Du bist hoffentlich nicht gekommen, um mir von Großmutters Geisterkram zu erzählen«, versuchte er den schmalen Grat des Widerspruchs zu besteigen.
»Doch. Was weißt du denn schon davon? Du warst vier als Großmutter starb, und auch sie ist nicht ins Licht gegangen.«
»Ich will das nicht hören«, erwiderte Manzetti. »Das ist doch Unfug.«
»Ist es das wirklich? Hör mir nur fünf Minuten zu und bilde dir dann dein Urteil. Sollte ich dich nicht überzeugen können, so fahre ich gleich morgen wieder nach Hause.«
Manzetti zog die Stirn kraus, nickte dann aber doch seiner Mutter zu.
»Deine Großmutter Simona ist keine geborene Fantozzi, wie wir dich immer glauben ließen. Sie war in Comiso, einem kleinen Dorf im äußersten Süden Siziliens zur Welt gekommen und durch ihren Onkel als billige Arbeitskraft an die Fantozzis vermittelt worden. Zuerst hatte sie auf dem Weingut geschuftet, dann als Hausmädchen im Palazzo. Das aber war noch nicht alles. Der alte Fantozzi hat sich jede Nacht in ihr Zimmer geschlichen. Sie hatte keine Chance, musste ihm zu jedem Willen sein. Zum Glück aber arbeitete auch dein Großvater gerade dort, um Erfahrungen im Weinanbau zu sammeln. Und in ihrer Verzweiflung wandte sich Simona an ihn. Als der betrunkene Fantozzi spät abends wieder in ihr Zimmer schlich, erwartete ihn dein Großvater bereits. Sie gerieten in Streit und er stach in seinem Zorn mit aller Kraft zu.«
»Hat man Großvater dafür vor Gericht gestellt?«
»Nein. Die beiden haben die Leiche nach draußen in den Weinberg getragen und zwischen die Chiantireben gelegt.«
»Und weiter?«
»Deine Großmutter ist spät in der Nacht noch einmal zurückgekehrt, hat die Brust des toten Fantozzi aufgehackt, ihm das Herz herausgerissen und durch einen Stein ersetzt.«
»Das wirft zwar kein besonders gutes Licht auf unsere Familie, aber ich kann noch immer keinen Zusammenhang zu meinem Fall herstellen. Und Großmutter ist mir immer schon ein bisschen verrückt vorgekommen.«
»Andrea«, sagte seine Mutter mit einer theatralischen Geste. »Der Geburtsname deiner Großmutter war nicht Fantozzi, sondern Bergone. Simona Bergone. Denk doch an die Initialen auf dem Stein. S.B.«
Manzetti wischte mit der rechten Hand gereizt durch die Luft. »Und jetzt hör endlich auf mit dem Unfug.«
»Das ist kein Unfug. Ihre Gabe bestand darin, dass sie mit erdgebundenen Geistern reden konnte und diese ins Licht geschickt hat. Sie konnte genau das aber auch verhindern. Wie bei dem alten Fantozzi, dessen Seele sie zu einem Geist machte, dem sie mit Quittensamen den Weg ins Licht versperrt hat. Auf ihrem Sterbebett hat sie mir das alles erzählt und mich gebeten, dass ich ganz besonders auf dich aufpassen möge. Die Fantozzis sind eine rachsüchtige Familie, hat sie gesagt, und sie würden irgendwann ihren aufgestauten Unmut an dir auslassen. Ich habe mich erkundigt. Die letzten Mitglieder der Familie haben die Toskana vor gut zwanzig Jahren mit unbekanntem Ziel verlassen.« Signora Manzetti stand
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