Havelgeister (German Edition)
auf und stellte sich vor ihren Sohn. Sie legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Andrea, die Fantozzis sind hier. Ich spüre das.«
***
Manzetti grübelte. Ja, er haderte sogar, mit sich, mit seinem Leben, mit seiner Entscheidung, wieder nach Brandenburg gekommen zu sein. Er liebte die Mark noch immer, das war gar keine Frage. Aber hätte er all das, was seit Tagen auf ihn einstürzte, nicht verhindern können, wenn er in der Toskana geblieben wäre? Seine Suspendierung, Bremers Festnahme, und vor allen Dingen der Schaden, den Lara genommen hatte, ihre Verletzung. Welche Vorwürfe hätte er sich wohl gemacht, wenn sie an den Folgen des Messerstiches verstorben wäre?
Und nun kam auch noch seine Mutter mit dieser uralten Familientragödie. Er fand sein Leben plötzlich nicht mehr lebenswert, er fühlte sich, als hätte er an irgendeiner Stelle versagt. In solchen Situationen gab es nur einen Helfer, seine Frau Kerstin. Er brauchte ihren Rat.
Als er in Laras Zimmer trat, stand Kerstin noch immer an der Stelle, an der sie auch schon gestanden hatte, als Manzetti nach Hause gefahren war. Wie eine dickstämmige Eiche, die niemand mehr verpflanzen kann. Wieder einmal erwies sich die zierliche, kleine Frau als Fels in der Brandung.
»Können wir mal kurz miteinander reden?« Er sah Kerstin an. Aber die Augen seiner Frau ruhten auf einer jungen Schwester, die mit dem Tropf beschäftigt war, aus dem bis eben noch eine Flüssigkeit in Laras Arm gesickert war. Er kannte seine Frau, ihre Gestik und vor allen Dingen ihre Mimik. Das hier war nicht bloßes Beobachten, es war Überwachung. Und zwar eine der stringenteren Art, schließlich legte hier gerade jemand Hand an das Wertvollste, das die Manzettis besaßen. An eine ihrer Töchter.
»Gleich«, sagte Kerstin, ohne die Schwester aus den Augen zu lassen.
»Es ist dringend.«
Kerstin sah ihn kurz an. »Im Moment kann ich mir nichts Wichtigeres vorstellen als unsere Tochter.«
Manzetti nickte und bekam dann Schützenhilfe von der Schwester, die mit einer Hand und äußerst geschickt die Kanüle aus Laras Arm zog. »Gehen Sie ruhig, Frau Manzetti. Ich nehme nur den Tropf ab, und dann lassen wir Lara noch ausschlafen, bevor wir sie auf die Innere bringen.«
Aber auch das schien Kerstin nicht zu einer Handlung zu animieren. »Können wir das nicht auch hier bereden?«
»Nein«, sagte Manzetti und griff nach der Hand seiner Frau.
Widerstrebend ließ sie sich auf den Flur ziehen, stellte sich aber an die Glasscheibe, um stets ein Auge auf Laras Bett zu haben.
»Was gibt es denn?«
»Die ganze Sache beginnt, mir über den Kopf zu wachsen. Vielleicht liegt es daran, dass Lara in diesem ganzen undurchsichtigen Fall selbst zum Opfer geworden ist, jedenfalls weiß ich im Moment nicht so recht, wo ich anfangen soll. Am liebsten würde ich das Haus wieder verkaufen und nach Italien zurückgehen.« Dieses Eingeständnis war deprimierend für den erfolgsverwöhnten Manzetti, aber es war nun mal die Wahrheit.
»Warum?«, fragte Kerstin und sah ihn das erste Mal in diesem Gespräch auch an.
»Ich kann es nicht genau beschreiben, aber ich habe nur noch den Wunsch, euch zu beschützen.«
»Solltest du diesen Wunsch nicht immer haben?«
»Doch«, sagte er, ohne mit seinem Bariton das Piepen der Herztöne und das Schnaufen der Beatmungsgeräte zu übertönen, »nur will ich im Moment gar nichts anderes mehr.«
Kerstin nahm Manzettis Hand und bewegte ihren Daumen in einem sanften Hin und Her über seinen Zeigefinger. »Aber ich, Andrea. Ich möchte, dass du das Schwein findest, das Lara das angetan hat. Und ich möchte, dass du damit noch in dieser Minute anfängst, egal wie viel uns das kostet.«
»Wie meinst du das?«
»Sonja war vor einer halben Stunde hier und hat mir erzählt, dass sie dich suspendiert und Bremer festgenommen haben. Man glaubt wohl, dass ihr einen Obduktionsbericht an die Presse gegeben habt. Andrea, mir scheint, man will euch mit aller Macht und üblen Tricks daran hindern, hinter die Kulissen zu schauen. Offensichtlich habt ihr direkt in ein Wespennest gestochen, und es ist anzunehmen, dass neben Böttger noch andere Leute in dieser Sache mit drinstecken.«
»Und an wen denkst du dabei?«
»Überleg doch mal. Böttger hat zwar Geld wie Heu, aber er kann wohl kaum anweisen, dass du suspendiert wirst und Bremer festgesetzt wird. Außerdem steht noch gar nichts in der Presse über diesen ominösen Obduktionsbericht. Woher will man also wissen, dass es
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