Havelgeister (German Edition)
Marketender beliefert und damit sein Handelsimperium begründet. »Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.«
Thomas Böttger nickte, blickte aber weiter in die Schlucht. Er hielt es für ratsam, sich nicht unaufgefordert zu bewegen, um nicht eine der bekannten Wutreaktionen bei Krasniqi zu provozieren.
»Was ist das da für eine Geschichte in Brandenburg? Können Sie mir das vielleicht erklären?«
Böttger hatte Angst, panische Angst, und die war berechtigt. Auch ohne sich umzudrehen, wusste er, dass der Oberst eine Waffe in der Hand hielt, und die Munition, die Krasniqi gewöhnlich mit großer Freude verwendete, würde an seinem Hinterkopf nur ein kleines Loch schlagen, während ihm vorn das halbe Gesicht fehlte.
»Ich weiß noch nicht alles, aber mein Mann im LKA hat bereits gute Arbeit geleistet.«
»Was soll das heißen?«
Böttger schloss die Augen, denn langsam wurde ihm in dieser Höhe schwindelig. »Wir wissen, wer meinen Sohn umgebracht hat. Es sind Serben, die auf ihre Weise Rache nehmen.«
»Was interessieren mich Ihre Bastarde. Das ist mir scheißegal. Sie führen einen dekadenten Lebensstil, Böttger, was mich eine Menge Geld kostet. Und dafür war ihr Job, das Geschäft abzusichern. Nicht es zu gefährden.«
»Aber ich habe es nicht gefährdet«, kämpfte Böttger um sein Leben.
»Nein? Und was ist mit diesem Polizisten? Er ermittelt auf eigene Faust und hat uns einen Journalisten hergeschickt. Was soll ich denn davon halten? Da werden noch mehr von dieser Sorte kommen, wenn erst mal ruchbar wird, dass der Codex Sinaiticus in den Kosovo gebracht wurde. Das kann ich nicht gebrauchen.«
Böttger hatte seine dramatische Situation in ihrem ganzen Ausmaß längst erkannt. Der Mord an seinem Sohn würde bald nicht mehr als eine kurze Meldung auf Seite drei sein. Aber der Raub einer so wesentlichen Bibelschrift hielt sich über Wochen in den Medien. Er würde immer neue Journalisten anlocken, die sich nicht so einfach einschüchtern ließen.
»Das ist eine Ente. Niemand von uns hat sich am Codex vergriffen. Das schwöre ich.«
»Das sollten Sie auch. Aber ich muss absolut sichergehen. Ich kann es mir nicht erlauben, dass hier fremde Leute herumschnüffeln. Deshalb werde ich Sie als Trophäe präsentieren.«
Böttger drehte sich abrupt um. »Wie meinen Sie das?«
Dann ratterte Krasniqis Maschinenpistole los. Schon der erste Einschlag in seine Brust riss Thomas Böttger von den Füßen. Sein blutüberströmter Körper zappelte bei jedem neuen Treffer der Dumdum-Geschosse und fiel schließlich kopfüber in die Schlucht.
Iwan Krasniqi sicherte seine AK-74 und reichte sie einem seiner Leute.
»Holt ihn hoch und legt ihn an die Straße. Der Polizeipräfekt soll in seinen Abschlussbericht schreiben, dass diese Wanze von Wegelagerern überfallen wurde. Und Thaci soll zwei Tage Staatstrauer für den großen deutschen Gönner anordnen.«
48
Mit den Händen in den Hosentaschen stand Wegmann am Fenster. Von der ehemals großen Bedeutung als Handelsplatz im Mittelalter war im heutigen Priština kaum etwas festzustellen. Die Blüte war verwelkt, von der orientalischen Altstadt nicht mehr viel übrig geblieben. Trotzdem blickte Wegmann auf ein buntes Treiben in den Straßen, auch wenn die uncharmanten Wohnblöcke nicht gerade eine Wohlfühlatmosphäre ausstrahlten.
»Kannst du mich zu Böttgers Hotel fahren?«, fragte er und drehte sich zu Fatmire um, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte.
Sie sah auf und legte die Zeitschrift zur Seite. »Was willst du bei ihm?«
»Ein Geschäft. Ich will ihm ein Geschäft vorschlagen.«
»Und was soll das für ein Geschäft sein? Willst du ihm dieses Pergament verkaufen, das dir keine Ruhe mehr lässt, seit du es in den Händen hältst?«
Es war ihm nicht entgangen, dass Fatmire seine Erregung bemerkt hatte. Aber was wusste sie schon über den Wert einer christlichen Schrift? Sie war eine Muslima, und er hatte nicht vor, ihr die Bedeutung des Codex Sinaiticus in Euro zu erläutern. Sicherlich würde er morgen, bevor er in den Flieger nach Berlin steigen würde, etwas Geld auf die mit ihr vereinbarte Summe drauflegen, aber das wäre kaum der Rede wert.
»Auch«, sagte er. »Aber es geht um mehr, was ich dir allerdings nicht erklären kann.«
»Du glaubst also, dass ich dumm bin?«
Warum neigten Frauen nur zu solchen Dramatisierungen? »Nein. Aber …«
»Was aber? Du denkst, weil ich eine Muslima bin, kann ich eure christliche Welt nicht
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