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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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fast, dass er sich jeden Augenblick den Kopf stoßen würde.
    „Setzen Sie sich doch“, bot der Hausherr an und blieb vorerst auf der Schwelle stehen.
    Manzetti wählte einen einfachen Stuhl mit harter Holzlehne, wie auch Sonja, sodass für Reinhard der einzige Sessel blieb. Bevor Reinhard sich aber setzte, musste er eine Oboe von der Sitzfläche nehmen, die er vorsichtig auf den Boden legte, direkt neben den Notenständer. „Meine Frau hat heute morgen gespielt“, sagte er fast entschuldigend und sah zu Manzetti. „Bach, das lenkt sie ein wenig ab.“
    „Ja“, bestätigte Manzetti und bemerkte erst jetzt die tiefschwarzen Augenränder in Reinhards Gesicht. Sie machten den Mann älter, als es seiner gesamten Erscheinung entsprach. Sicherlich, Manfred Reinhard war bereits in einem sehr respektablen Alter, nämlich siebenundachtzig, aber darauf ließen weder seine Haut noch die Körperhaltung schließen. Manfred Reinhard war ein geradliniger, aufrechter Richter im Ruhestand, der seine Grundeinstellungen gern auch durch seinen Habitus zur Schau trug, hatte Manzetti im Vorfeld herausgefunden.
    „Außerdem muss das Leben ja weitergehen“, formulierte Reinhard in die Gedanken von Manzetti hinein. „Und meine Frau ist noch berufstätig. Sie hat ein Engagement bei den Berliner Symphonikern für die kommenden Weihnachtskonzerte.“
    „Hat sie kein festes Orchester?“, fragte Manzetti, dankbar für die kleine Ablenkung und deshalb den Faden aufgreifend.
    „Nein. Jedenfalls nicht mehr seit man beschlossen hat, das Orchester in Potsdam aufzulösen.“ Reinhard wirkte fast so erleichtert wie Manzetti, und das wahrscheinlich aus demselben Grund. „Uns kann das eigentlich egal sein“, formulierte er etwas leiser. „Aber was man damit den Menschen, und insbesondere der Jugend antut, ist unverantwortlich. Musik ist nicht nur zum Hören nebenbei da. Musik ist wie jede andere Kunstform seit Urzeiten fester Bestandteil aller Kulturen. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass wir uns von Schimpansen unterscheiden.“ Jetzt hob Manfred Reinhard seine Stimme, sie schwoll an, war energischer und passte somit zu seinem Plädoyer. „Musik ist ein verbindendes Element der Menschheit, nicht zuletzt auch, weil sie über alle Sprachbarrieren hinweg Emotionen ausdrücken kann.“ Wieder zu Manzetti gewandt, fuhr er mit mittlerweile glühenden Augen fort, die wie Speerspitzen aus seinem ansonsten harschen Gesicht herausragten. „Mozart, Beethoven, Schubert, … das sind doch Kompositionen, die auf der ganzen Welt gespielt werden. Diese Musik versteht man in Amerika und in Australien. Selbst in Japan und Korea liebt man sie. Überall strömen die Menschen zu Konzerten mit klassischer Musik des alten Europas. Und wir vernichten die Orchester, weil sie angeblich zu viel kosten.“ Er sprach inzwischen wieder sehr leise, und der Glanz seiner Augen verblich. „Das ist doch Irrsinn.“ Dann saß er still in seinem Sessel und strich sich über die glatt nach hinten gekämmten Haare.
    „Ich sehe das ähnlich“, sagte Manzetti in die Pause hinein. „Ändern können wir das aber trotzdem nicht.“
    „Wir sowieso nicht, Herr Manzetti. Aber Sie haben Recht: Es ist, wie es ist.“
    „Ja“, stimmte Manzetti ihm zu. „Aber deshalb sind wir leider nicht gekommen.“
    „Nein, natürlich nicht.“
    „Wie geht es Ihnen, Herr Reinhard?“, fragte Manzetti.
    „Mir? … Wie soll es mir gehen? Schlecht, sehr schlecht geht es mir.“ Seine Stimme flatterte. „Wir haben unsere einzige Tochter verloren. Wie soll es uns da gehen?“
    „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, versuchte Manzetti den alten Mann zu beruhigen. Er wollte nicht der Auslöser eines Herzinfarktes sein.
    Manfred Reinhard wurde nachdenklicher. „Nein, können Sie nicht. Finden Sie den, der das getan hat, und überstellen Sie ihn der Justiz“, antwortete er in scharfem Ton, und Manzetti wurde augenblicklich klar, dass es sich nicht um eine Bitte, sondern um einen Befehl des Mannes handelte, der zuvor noch mit zittriger Hand über seine ausgebeulte Cordhose gestrichen hatte.
    „Wir tun alles, was wir können.“ Er lockerte mit einer Hand seinen plötzlich viel zu engen Krawattenknoten. „Das verspreche ich Ihnen“, fügte er sicherheitshalber noch hinzu, wohl auch, um den bohrenden Blick Reinhards abzuwehren.
    „Das will ich hoffen.“ Der alte Richter schloss für einen kurzen Moment die Augen.
    Das nutzte Manzetti sofort aus. „Darf ich Ihnen einige Fragen zu Ihrer

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