Havelsymphonie (German Edition)
sind.“
„Sie ist doch meine Tochter“, stammelte er. Seine Worte klangen eher wie ein hilfloses Wimmern.
„Eben genau darum.“ Sonja hielt nun das Zepter in der Hand, und ihr Chef hatte sich bei dieser symbolischen Übernahme nicht gewehrt. „Keine Chance, Andrea. Dieses Mal nicht. Außerdem bist du betrunken und würdest mehr Schaden anrichten, als wir beide zusammen verkraften können.“
„Wo willst du hin?“, fragte er, als Sonja die Autotür öffnete.
„Ich gehe jetzt da rein. Alleine. Und du wartest, bis ich wieder hier bin.“
Manzetti schwieg wieder, nickte aber.
„Hast du mich verstanden? Du wartest, bis ich wieder hier bin.“
„Ja“, sagte er und vergrub das Gesicht in den fleischigen Händen.
Sonja brauchte nur knapp zehn Minuten, bis sie wieder in sein Sichtfeld kam.
„Nichts“, sagte sie.
„Was nichts?“
„Nichts. Hier weiß niemand etwas von einem Freund.“
„Was soll das heißen?“, stocherte er weiter. „Sie muss hier jemanden haben. Wo denn sonst? Sie war immer nur zu Hause oder hier, nie woanders.“
„Sie sagen, dass Lara sich ausschließlich um ihr Pferd gekümmert hat und alle Kerle abblitzen ließ. Außerdem hätten die jungen Männer …“
„Was?“, platzte es aus Manzetti heraus.
„Außerdem hätten die jungen Männer Angst vor dir.“
„Vor mir?“
„Ja, vor dir.“ Sonja sah zu Manzetti hinüber. „Wenn ich dich so sehe, kann ich mir das bildhaft vorstellen. Du siehst aus wie ein andalusischer Stier, obwohl du ja Italiener bist.“
„So ein Blödsinn. Außerdem bin ich nur Halbitaliener.“
„Nein, nein“, beharrte sie auf ihrem Urteil. „Du siehst wirklich so aus. Rotunterlaufene Augen, und du schnaufst wie eine Dampflok.“
„Aber die kennen mich doch gar nicht.“
„Das nicht. Aber Lara war clever genug, um mit dir zu drohen.“
„Mit mir?“
„Ja, mit dir. Ein anderes Mädchen hat mir gerade erklärt, dass sie jedem jungen Kerl bei der ersten Annäherung erzählt hat, ihr Papa sei ein heißsporniger italienischer Patron, dem nichts über die Familienehre gehe und der jedem, der ihr zu nahe komme, sofort einen Finger abschneide.“
Manzetti betrachtete seine Hände. „Das sind doch Ammenmärchen.“
„Zumindest erfüllten sie den Zweck, zu dem sie erfunden wurden.“
„Aber sie wurde doch vergewaltigt“, behauptete er, weil seine Engstirnigkeit einfach keinen anderen Schluss zuließ.
„Glaube ich nicht.“ Sonja musste überlegen, wie sie einen Halbitaliener, der von der eigenen Rage noch nicht weit genug entfernt war, davon überzeugen konnte, auf weibliche Eingebungen zu vertrauen. „Ich glaube es einfach nicht, dann hätte nämlich etwas anderes auf dem Zettel gestanden.“
„Woher willst du das wissen?“
„Nennen wir es Intuition, okay?“
Manzetti blieb ruhig sitzen. Keine Geste, und auch nicht seine Mimik verrieten, woran er dachte. Dann sagte er plötzlich: „Unter Intuition versteht man die Fähigkeit gewisser Leute, eine Lage in Sekundenschnelle falsch zu beurteilen. Friedrich Dürrenmatt.“
Mit so etwas hatte Sonja früher oder später gerechnet. „Lass uns Kerstin anrufen“, lenkte sie deshalb von dem Thema ab. Und sie wusste, über welche Macht Kerstin Manzetti verfügen konnte.
„Warum?“
„Sie ist genauso involviert wie du.“
„Wie ich?“
„Ja, wie du. Kerstin ist schließlich die Mutter von Lara.“
„Also gut, ruf sie an.“
„Ich?“, fragte Sonja erschrocken.
„Ja, wer denn sonst? Du wolltest doch unbedingt, dass wir sie einbinden.“
Sonja riss ihm sein Handy aus der Hand, das er ihr entgegenhielt, und stieg aus.
Nach wenigen Augenblicken saß sie wieder auf dem Fahrersitz und gab ihm das Telefon zurück.
„Und?“
„Was und?“
„Und, was hat sie gesagt?“
„Sie sind schon losgefahren und ich soll dich nach Hause bringen. In etwa einer Stunde werden sie da sein, und bis dahin solltest du deinen Rausch ausschlafen.“
„Ich?“
„Ja, wer denn sonst? Ich bin stocknüchtern, Andrea.“
„Ich habe keinen Rausch“, behauptete er stock und steif und sah nach rechts aus dem Fenster.
„Das war nicht meine Idee. Kerstin meinte nur, dass es wohl besser wäre, wenn Paola dich …“
„Schon gut“, knurrte er und ließ sich ohne weiteren Kommentar nach Hause bringen.
Erst etwa zwei Stunden später wurde Manzetti wach. Er lag auf seinem Bett, wo auch sonst, und war mit der roten Wolldecke zugedeckt. Nur langsam und mit brummendem Schädel richtete er sich
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