Havelsymphonie (German Edition)
auf.
Draußen vor dem Fenster fiel Schnee, der erste in diesem Jahr. In dicken weißen Flocken fiel er schwer zu Boden, nicht hüpfend, nicht tanzend, nicht wirbelnd. Die gegenüberliegende St.-Annen-Promenade lag schon unter einer geschlossenen weißen Schicht.
Dann hörte er das Geklapper von Kochtöpfen. Ein Blick zur Uhr verriet, dass es fast Mittag war und Kerstin sicherlich kochen würde.
„Na, ihr zwei“, sagte er zur Begrüßung und küsste seine Frau auf den Nacken.
„Hallo, Papa.“ Paola sprang begeistert an ihm hoch und hielt ihm mehlige Hände hin. „Wir machen Gnocchis.“ Auch die weißen Stellen an ihrer Hose zeugten davon.
„Das ist ja schön. Ich habe auch schon richtigen Hunger“, gab er zu.
„Und deshalb müssen wir uns beeilen.“ Kerstin drehte sich um und wischte ihre Hände an einem Handtuch ab. „Du gehst dir die Hände waschen und deckst dann den Tisch, meine Liebe.“
„Okay. Baust du dann mit mir einen Schneemann?“, fragte Paola noch, bevor sie die Küche verließ.
„Ich?“
„Wer denn sonst, Papa? Das ist Vaterarbeit.“
„Na, dann. Aber erst essen wir.“
Als Paola im Bad verschwunden war, drehte sich Kerstin ganz zu Manzetti und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist denn in dich gefahren?“ Sie bohrte mit ihren Augen kleine Löcher in seine Stirn.
„Was meinst du?“
Kerstin schwieg. Sie räumte ihm noch ein bisschen Gelegenheit ein, sich zu finden, um so den Ernst der Lage vielleicht rechtzeitig zu erkennen.
„Also gut“, gestand er. „Ich habe ein paar Grappa getrunken und hatte einen Schwips.“
Kerstin schwieg weiter, und ihre Augen bohrten jetzt mit schmerzendem Nachdruck.
„Was glaubst du, wie ich mich fühle?“, platzte es endlich aus ihm heraus. „Sie ist schwanger und verheimlicht uns das.“
„Schrei hier nicht so rum“, sagte Kerstin energisch. „Paola muss nicht jedes Wort hören.“
„Entschuldige … Trotzdem, ich war außer mir. Kannst du dir das nicht vorstellen?“
„Oh doch, das kann ich“, behauptete Kerstin und stieß zur Bestätigung die Luft hörbar aus der Nase. „Sonja hat es mir schließlich in allen Einzelheiten berichtet.“
„Sonja?“
„Ja, Sonja. Und Gott sei Dank hat sie einen kühlen Kopf bewahrt. Du warst ja mit deinem italienischen Naturell dazu nicht in der Lage.“
Jetzt musste sich Manzetti auf die Lippen beißen. Wenigstens solange, bis Kerstin sich wieder beruhigen würde, obwohl er sich schon sehr angegriffen fühlte. Aber er wusste, dass es klüger war nachzugeben. Das hatte er in ihren gemeinsamen Jahren bereits gelernt, und so sah er über Kerstins Schulter hinaus auf den Stadtkanal, dorthin, wo die dichten Schneeflocken in das dunkle Wasser tauchten.
„Sieh mich an, Andrea, und erkläre mir endlich, was das sollte!“
„Was denn?“, fragte er und trat einen Schritt auf sie zu.
Wieder tiefes Schweigen. Keinen Laut gab sie von sich, nicht einmal die Augen bohrten mehr. So ließ sie ihm Luft zum Überlegen.
„Ist es denn nicht normal, dass ich mir als Vater Sorgen mache?“
„Sorgen wären normal. Aber du rennst in deiner Rage gleich los und polterst alles um, was dir in den Weg kommt.“
„Aber begreifst du denn nicht, dass jemand unsere Tochter geschwängert hat?“, flehte er seine Frau an.
„Hat das jemand?“
„Ich kann es dir beweisen.“ Er wollte ins Wohnzimmer gehen. „Ich habe einen Zettel gefunden.“
„Gefunden?“, fragte Kerstin mit eindeutiger Betonung. „Wenn du den meinst, dann kannst du hierbleiben.“ Sie griff in die Gesäßtasche ihrer Jeans und hielt ein kleines weißes Blatt hoch.
„Da steht es doch drauf“, sagte er und kam zurück.
„Was steht da drauf?“
„Dass Lara schwanger ist.“
„Dann lies mir das bitte vor.“ Sie reichte ihm das Papier.
Manzetti las erst noch einmal leise für sich.
„Was ist denn nun? Soll ich dir deine Brille holen?“
Er ließ die Hand mit dem Zettel sinken und sah Kerstin an. Und er begriff: Er musste sich eingestehen, dass er die Beherrschung verloren und nicht mehr gewusst hatte, was er tat.
„Um es abzukürzen, Schatz“, Kerstin legte beruhigend die Hände um seine Hüfte, „sie ist nicht schwanger und sie hat auch in absehbarer Zeit nicht vor, es zu werden.“
„Und der Zettel?“, fragte Manzetti hilflos.
„Der ist von Nora. Die ist nämlich schwanger und hat ihn Lara gegeben, weil Nora auch einen Vater hat, der ihr ständig hinterherspioniert.“
„Ich spioniere niemandem
Weitere Kostenlose Bücher