Havelsymphonie (German Edition)
Ausbildung zu den fünf Absolventen gehört, die sich als Lohn für die Mühen ihre erste Stelle aussuchen durften. Und die Wahl fiel ihr nicht sehr schwer. Sie wollte unbedingt zu dem Hauptkommissar, dem sie in Brandenburg während der beiden Praktika bereits begegnet war, zu diesem Halbitaliener, der abstrakter dachte, als die vielen Dozenten an der Polizeischule.
Nun war sie schon fünf Jahre bei Manzetti und an seiner Seite von Jahr zu Jahr weiter gewachsen, bis sie irgendwann die unumstrittene Nummer zwei hinter ihm geworden war. Allerdings hatte sie einen richtigen Sprung erst gemacht, als sie im letzten Jahr direkt an der Lösung des Falles um die Münzmorde beteiligt gewesen war.
Manzetti wollte den Begriff gewachsen jedoch in diesem Zusammenhang nicht recht zulassen. Mutiert sei sie, wie er es manchmal formulierte, denn er musste sie in den letzten Monaten oft genug zügeln wie ein temperamentvolles Araberpferd. Ihr rebellischer Geist schlummerte offensichtlich nur und konnte immer mal wieder überraschend durchbrechen. Dabei wünschte er sich, dass sie mehr über seine Schulter schauen würde, wenn er sich an Recht und Gesetz hielt, und nicht immer nur dann aufmerksam war, wenn er in die Trickkiste der etwas unkonventionellen Art griff. Aber die gefiel der jungen Hobbyrebellin eindeutig besser.
„Wie geht es ihr?“ Manzetti reichte Sonja einen Kaffee, den er zuvor aus dem Automaten in der Kantine gezogen hatte.
„Wen meinst du?“
„Na, wen wohl?“, fragte er für Sonjas Geschmack etwas zu herrisch.
„Wenn du deine Tochter meinst, da mache ich von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.“
„Aha.“ Manzettis Stimme hatte einen nicht definierbaren Unterton angenommen. „Aber ich bin ihr Vater und die Kleine ist minderjährig. Klingelt da etwas bei dir?“
„Nein“, sagte Sonja entschieden. „Sollte es? Soviel ich weiß, ist Kerstin ihre Mutter und zum Erhalt des Kindeswohls haben wir dir kurzzeitig das Sorgerecht entzogen.“
„Wir?“
„Zumindest deine Frau und deine Tochter haben das getan. Aber ich bin mit der Maßnahme einverstanden.“
„Hat Kerstin …“
„Hat sie.“ Sonja bedachte ihn mit einem scheelen Blick. „Sie sehen sich einmal am Tag und telefonieren regelmäßig.“
„Geht es ihr nun gut?“
Sonja schwieg wieder. Sie war nicht gewillt nachzugeben, schließlich war sie in dieser Sache die Verbündete von Kerstin Manzetti.
„Was hast du über Carolin Reinhard herausgefunden?“, fragte er und wurde damit übergangslos dienstlich.
Sonja rutschte an ihren Schreibtisch heran und nahm ein Blatt auf, von dem sie scheinbar ablesen musste.
„Carolin Reinhard wäre am Tag ihrer Ermordung dreißig Jahre alt geworden, denn sie wurde am 1.Novermber 1977 geboren. In Berlin. Und ihre Mutter starb kurze Zeit später.“
„Aber dann …“, stotterte Manzetti mit erhobener rechter Hand.
„Warte noch.“ Sonja las weiter. „Als Carolin ein halbes Jahr alt war, ging der Vater eine neue Beziehung ein, die schon vier Monate später in einer Ehe mündete. Ihr Vater war Richter und ihre Stiefmutter ist Musikerin. Der Vater ist heute pensioniert, die Mutter …“ Sonja sah kurz auf und suchte Blickkontakt zu Manzetti, „ …ich bezeichne sie mal als Mutter, weil das einfacher ist.“ Sie sah wieder auf den Zettel. „Also die Mutter spielt noch heute Oboe, meist in einem Berliner Orchester. Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, begann Carolin bereits im zarten Alter von drei Jahren, Flöte zu spielen, dann Klarinette und schließlich mit acht Trompete, wobei sie auch blieb.“ Sonja stockte kurz und schüttelte den Kopf. Konnte man wirklich den Beruf eines Elternteils ergreifen?
„Vor gut einem halben Jahr zog Carolin aus der elterlichen Wohnung in Potsdam aus, zuerst nach Berlin und dann nach Brandenburg, wo sie mit zwei weiteren Musikern, einer Bühnenbildnerin und dem Wirt der Theaterklause in einer Wohngemeinschaft gelebt hat. Sie hatte mehrere wechselnde Beziehungen, worunter nichts Festes war, zuletzt mit einem Brandenburger Anwalt. Diese Geschichte endete vor drei Monaten.“
„Und?“
„Du meinst den Anwalt?“
„Ja.“
„Wie detailliert soll ich werden?“
„Das kannst du selbst entscheiden“, bot Manzetti an und trank glucksend aus dem Becher.
„Sie wollte Liebe, er wollte nur vögeln.“
„Hat er was Neues?“
„Seit der Trennung von Carolin Reinhard schon die vierte“, sagte Sonja und winkte vielsagend ab.
„In drei Monaten?“,
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