Havelsymphonie (German Edition)
fragte Manzetti verblüfft und pfiff durch die Zähne.
„Beeindruckt dich das? Wieso seid ihr Männer so? Wenn ihr in zwei Wochen drei Frauen flachlegt, dann seid ihr Helden, denen jeder andere Rammler anerkennend auf die Schulter schlägt. Du hättest bestimmt nicht gepfiffen, wenn Carolin in drei Monaten vier Lover gehabt hätte. Machen wir das, dann sind wir doch sofort Huren.“
Manzetti vermied eine Antwort, sah Sonja nur abwartend an.
„Den können wir vergessen.“ Sie konzentrierte sich wieder auf ihren Zettel. „Der denkt nicht einmal mehr mit der letzten Gehirnwindung an Carolin Reinhard.“
„Ja, das wird so sein“, bestätigte Manzetti. „Es sieht also alles danach aus, als hätte unser Opfer eine gutbürgerliche Kindheit gehabt, an die sich eine vielversprechende Karriere anschloss. Bis, …, ja, bis sie aus der Wohnung ihrer Eltern auszieht.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Sonja, die diesen Schluss nicht nachvollziehen konnte.
„Sie wohnt bei ihrem Vater, der sie über alles vergöttert.“
„Das erklärt die Bildergalerie in seinem Arbeitszimmer“, flocht Sonja ein, um den Faden nicht zu verlieren.
Manzetti nickte nur. „Aus irgendeinem Grund zieht sie schließlich Hals über Kopf aus, ohne sich ein neues Nest gebaut zu haben. Sie geht in diese WG und bricht mit ihren Eltern.“
„Wie kommst du darauf?“
Manzetti stellte den Kaffeebecher auf den Tisch. „Keine Erinnerungen. Keine Fotos, keine Briefe, keine Emails und auf dem Handy keine einzige SMS von oder an die Eltern. Es muss also irgendwas vorgefallen sein, was sie zu dieser Flucht veranlasst hat, und das muss so gewaltig sein, dass der alte Richter uns belügt und vielleicht auch deswegen mit einem Herzinfarkt zusammenbricht, als seine Frau beginnt, uns eine Erklärung zu liefern.“
„Genau.“ Sonja strich die Ärmel ihres Pullovers hoch. „Also müssen wir unbedingt noch einmal zu Frau Reinhard.“
„Richtig“, bestätigte Manzetti und begann, seine Tasse am Henkel wie ein Kinderkarussell zu drehen. „Was hast du noch über Carolin Reinhard erfahren?“
„Sie hat gutes Geld verdient, denn sie war gefragt.“
„Wie geht das?“
„Sie nennen es Mugge, was soviel heißt wie musikalisches Gelegenheitsgeschäft. Sie werden von überall und jedem zur musikalischen Umrahmung von Omas Achtzigstem oder von Juniors Jugendweihe, aber auch zu hochkarätigen Anlässen engagiert und kassieren keine schlechten Gagen. Gut und ehrlich verdientes Geld neben ihren eigentlichen Konzertverträgen. Und Carolin war in ihrer freien Zeit oft zu einer Mugge unterwegs.“
„Ich sollte auch mal für irgendjemanden nebenbei ermitteln“, warf Manzetti als Zwischenbemerkung ein. „Vielleicht für eine Versicherung. Das nenne ich dann Degge. Detektivisches Gelegenheitsgeschäft. Was meinst du?“
Sonja hatte nicht mehr als ein stummes Kopfschütteln dafür übrig.
„Was ist mit ihrer WG? Wann haben die Mitbewohner Carolin Reinhard das letzte Mal gesehen und wie kamen sie überhaupt miteinander klar?“
„Darum konnte ich mich noch nicht kümmern. Mache ich aber gleich.“
„Ja, mach das“, bestätigte Manzetti und bewegte sich schon zur Tür. „Ich gehe noch mal ins Theater und unterhalte mich mit dem Intendanten. Anschließend fahren wir dann nach Potsdam zu Frau Reinhard.“
„Worüber willst du mit dem Intendanten reden?“, fragte sie mit einem Augenaufschlag, der bedeuten sollte, dass sie gern mitwollte.
„Über vieles. Vor allen Dingen aber brauche ich seine Hilfe, weil ich die Stelle nicht finden kann, an der sich aus der Inszenierung des Mörders endlich das Motiv erkennen lässt.“ Er kam wieder zum Schreibtisch zurück, auf den er sich halb setzte. „Irgendwie kann ich keine rechte Beziehung zu diesem Stück bekommen. Da liegt eine junge Musikerin erstochen vor unserem Theater. Wir kommen mehr durch Zufall darauf, dass es etwas mit Puccinis Oper La Bohème zu tun haben könnte, bis wir vom Intendanten aufgeklärt werden, dass es sich nicht um die Oper, sondern um die literarische Vorlage, nämlich um Henri Murgers Roman handelt. Damit nicht genug, die Reinhard trägt ein Kleid und eine Schürze, die weder in das Paris des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts passen, noch in unsere Zeit. Wenn überhaupt, dann wurden diese Art Kleider nach dem zweiten Weltkrieg getragen.“
„Und da waren sie auch nicht unbedingt Mode“, ergänzte Sonja. „Es handelt sich eher um Bekleidung, die in strengen
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