Havelsymphonie (German Edition)
Mädchenpensionaten anzutreffen war.“
„Richtig“, sagte Manzetti, der sich allerdings eingestehen musste, dass Mode, die mehr als fünf Jahre zurücklag, sich längst aus seinem Gedächtnis verabschiedet hatte. „Außerdem hat der Täter unserer Toten eine Halskette verpasst, die als Anhänger eine 50 trägt.“
„Eine Kette?“ Sonja hatte dieses Detail offenbar vergessen.
„Keine richtige Kette. Nur gemalt, aber deshalb umso bedeutender. Und als ob das noch nicht reicht, lügt uns der Vater der Toten die Hucke voll.“
„Er hat nicht gelogen. Er hat nur einiges weggelassen“, versuchte Sonja zu berichtigen. Das war auch so eine Manie von ihr. Alles musste beim richtigen Namen genannt werden und überaus akkurat sein. Vielleicht war das dem Einfluss ihrer Mutter geschuldet, die Deutsch an einem Gymnasium unterrichtete.
„Für mich gibt es da keinen Unterschied. Als Vater muss er doch daran interessiert sein, dass wir den Mörder seiner Tochter finden.“
„Vielleicht ist genau das sein Problem? Vielleicht will er ja gar nicht, dass wir den Mord aufklären, jedenfalls nicht sofort. Vielleicht will er, dass wir dafür sehr lange brauchen.“
„Welches Interesse könnte er daran haben? Der Mann ist siebenundachtzig. Viel Zeit kann er uns womöglich gar nicht mehr lassen, wenn er das Ergebnis noch erfahren will.“
„Ist es nicht auch möglich, dass der Mann auf eigene Faust ermitteln will?“
„Wie soll das gehen?“ Manzetti hatte als langjähriger Kriminalist für derartige Gedankengänge nicht viel übrig, zumal die Aufklärung solcher Kapitalverbrechen keine Privatangelegenheit war. Jedenfalls nicht in Deutschland. „Und ich sagte doch, der ist siebenundachtzig und seit vielen Jahren pensioniert. Außerdem liegt er im Krankenhaus.“
„Er ist aber noch sehr gut beieinander, wenn man mal von seinem kleinen Gehfehler absieht. Und den Infarkt soll er ganz gut überstanden haben. Jedenfalls ist er außer Lebensgefahr.“
„Das will ich hoffen, denn ich habe das Gefühl, dass er uns noch als Zeuge dienen muss.“ Dann fragte er: „Was für ein Gehfehler?“ Der war ihm in der Wohnung von Reinhards gar nicht aufgefallen.
„Er zieht das linke Bein ein ganz klein wenig hinterher. Wirklich nur ganz wenig. Ich glaube, dass diese Sache angeboren ist, denn das eine Bein war kürzer als das andere. Jedenfalls war eine Schuhsohle etwas dicker als die andere.“
„Gut beobachtet“, gab Manzetti zu. „Aber warum sollte er allein ermitteln wollen? Und kann er das überhaupt?“
„Unterschätz den Mann nicht. Der war mal Richter und besitzt mit Sicherheit immer noch Beziehungen, an die wir nicht einmal denken können.“
„Möglich. Aber trotzdem, warum sollte er das tun?“
„Rache. Das klassischste aller Motive ist doch Rache“, sagte Sonja.
Das leuchtete auch Manzetti ein, weil es seine italienische Seite ansprach, und deshalb war er sogar versucht, plötzlich Sympathien für Manfred Reinhard zu entwickeln.
„Könnte sein.“ Er rutschte wieder vom Schreibtisch. „Also, du kümmerst dich jetzt um die WG, und ich gehe ins Theater“, sagte er in dem Moment, als das Telefon neben Sonja klingelte.
„Brinkmann.“ Sie schob einen Notizblock auf dem Schreibtisch in Position. „Ja, der ist hier, einen Moment bitte.“ Dann bedeckte sie die Sprechmuschel mit ihrer Hand und flüsterte Manzetti zu: „Da will dich jemand aus Hamburg sprechen.“
„Mich?“, fragte Manzetti, obwohl niemand weiter im Raum war.
„Ja, dich. Ist ein Kollege.“
Er nahm den Hörer und meldete sich. „Manzetti. Was kann ich für dich tun?“
„Hallo, Kollege Manzetti. Mein Name ist Götz und ich bin beim Morddezernat in Hamburg.“ Seine sehr tiefe Stimme ließ bei Manzetti sofort das Bild von Jack Nicholson aufleuchten.
„Ich habe durch die Schwägerin meiner Frau erfahren, dass in eurem schönen Städtchen ein Mord passiert ist“, sagte die Stimme des Oskarpreisträgers und wurde dafür nicht unbedingt in den engsten Freundeskreis von Hauptkommissar Manzetti aufgenommen. Dem drängten sich sofort Assoziationen zu großstädtischer Überheblichkeit auf. Trotzdem vermutete er eine interessante Botschaft, denn der Kollege würde wahrscheinlich nicht nur aus Neugier anrufen. Manzetti drückte auf die Taste des Telefons, die es Sonja erlaubte mitzuhören.
„Und dass die Tote eine Musikerin ist“, fuhr der Großstadtkollege gerade fort. „Wie die Schwägerin sagt, eine Symphonikerin oder so. Jedenfalls
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