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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Manzetti und ich komme von der hiesigen Polizei.“
    „Treten Sie ein“, bat der Mann, der sich als Oliver Kurz vorstellte und im Hauptberuf Fagottist der Brandenburger Symphoniker war.
    Manzetti folgte ihm in die Wohnung, die bereits im Flur unmissverständlich darauf hinwies, dass man mitten in eine WG geplatzt war. Einige Sekunden später saßen sie an dem großen runden Küchentisch, auf dem merkwürdige Gerätschaften standen.
    „Wollen Sie einen Kaffee?“, fragte der Musiker.
    „Gerne“, antwortete Manzetti und zog seinen Mantel aus.
    „Ihre Kollegen waren schon zwei Mal hier. Was wollen Sie denn noch?“ Oliver Kurz stellte einen Kaffeepott vor seinen Besucher. „Sie möchten bestimmt zum x-ten Mal das Zimmer von Carolin sehen, oder?“
    „Nein“, sagte Manzetti, nachdem er einen Schluck getrunken und sich bei der Gelegenheit gleich die Zunge verbrannt hatte. „Ich möchte mit Ihnen über Ihre WG reden. Geht das?“
    „Na klar“, sagte Oliver Kurz und spannte einen hellen Holzspan in eine Art Schraubstock. Dabei hatte er ein Auge geschlossen, denn von der Zigarette in seinem Mund stieg beißender Qualm hoch.
    „Was machen Sie da?“, fragte Manzetti interessiert.
    „Rohre.“ Endlich drückte er die Zigarette in dem überlaufenden Aschenbecher aus. „Ich bin Fagottist und damit bis ans Ende meiner Musikerzeit zum Rohrebauen verdammt.“
    „Und wofür brauchen Sie die Rohre?“
    Ohne Manzetti anzusehen, öffnete der Musiker ein kleines schwarzes Etui, das innen wie eine Schmuckschatulle mit dunkelrotem Samt ausgeschlagen war.
    „Ah, Mundstücke.“ Manzetti glaubte, den Inhalt des Kästchens erkannt zu haben.
    „Es sind Rohre. Bei den Blechbläsern nennt man es Mundstücke, bei uns Hölzern heißen die Dinger Rohre und rauben mir irgendwann den letzten Nerv.“ Oliver Kurz steckte sich eine neue Zigarette an und begann sofort zu husten. Nach Manzettis Empfinden kam er damit dem unausweichlichen Erstickungstod langsam näher und er überlegte, wie ein Fagottist mit dieser Lunge Tonlängen von etwa einer Minute halten konnte.
    „Es geht“, sagte Kurz unvermittelt, und Manzetti konnte ihm zum ersten Mal direkt in die Augen sehen. Sie waren schön und von einem Blau, das künstlich wirken würde, wäre es noch kräftiger.
    „Können Sie Gedanken lesen?“ Manzetti war sichtlich überrascht.
    „Das nicht, aber viele meiner Freunde rätseln, wie ich bei meinem Zigarettenkonsum noch ordentlich spielen kann. Auf Ihrer Stirn stand eben auch diese Frage, oder habe ich mich getäuscht?“
    „Haben Sie nicht“, gab Manzetti zu. „Aber jetzt erklären Sie mir auch, wie man solch ein Rohr baut?“
    „Erst einmal gibt es nicht das Rohr.“ Oliver Kurz lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Seine Augen verrieten, dass er aufgeschlossener war als noch vor zwei Minuten, was sicherlich auf Manzettis Interesse an seiner Arbeit zurückzuführen war. „Natürlich könnte man meinen, alle Rohre seien gleich, denn alle sind aus Bambus, Schnur und Messingdraht, aber es gibt durchaus Unterschiede und fast jede Spielsituation braucht ein eigenes Rohr.“
    Manzetti zog die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf schief.
    „Ich erkläre es Ihnen. Passen Sie auf“, fuhr Kurz mit einem sympathischen Lächeln fort. „Weihnachten zum Beispiel. Da spielen wir oft in Kirchen, und die sind bekanntermaßen sehr kalt. Da brauche ich ein sehr leichtes Rohr, weil das Spielen in der Kälte sowieso schon sehr anstrengt. Ich muss also bei der Herstellung sehr viel abhobeln.“ Er beugte sich kurz nach vorn und hob ein massives Metallwerkzeug an. „Das ist der Hobel, auf dem ich ein gevierteltes Bambusrohr so lange bearbeite, bis es die richtige Stärke hat.“
    Manzetti nahm sich ein schon gehobeltes Stück Bambus. Es war sehr dünn, und er konnte ungefähr begreifen, was der Musiker gemeint hatte.
    „Dann schneide ich es auf die richtige Länge und nehme an den Seiten einiges weg, bis das Stück die gewünschte Form besitzt.“
    Manzetti schüttelte ungläubig, aber auch anerkennend den Kopf, und mit jedem weiteren Wort wuchs seine Achtung vor diesen Musikern. Unglaublich, was sie hinter den Kulissen betrieben, um dem Publikum den absoluten Klanggenuss zu bescheren.
    „Irgendwann wird das Stück gefaltet und die Biegestelle aufgeschnitten … Vorher muss ich es natürlich mit Schnur umwickeln und mit Draht arretieren.“
    „Meine Güte“, staunte Manzetti. „Wie lange brauchen Sie denn für ein Rohr?“
    „Knapp drei

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