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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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wichtig ist. Ich bin schon jetzt glücklich, denn Mario hat meine Arbeit heute enorm vorangebracht.“
    Bremer beugte sich zu ihr und streichelte kurz ihre Schulter. Das nahm Manzetti gar nicht wahr, lediglich Sonja war die Geste nicht entgangen. Manzetti hatte sich verbissen, er war in einem Tunnel, konnte nicht mehr nach links und nicht nach rechts ausweichen.
    „Können wir es nicht noch einmal versuchen?“ Er sah mit bettelnden Augen zu Hendel.
    „Von mir aus ja“, versicherte der Intendant. „Das Orchester macht mit und würde sogar Überstunden akzeptieren.“
    Davon war Manzetti ausgegangen. Schließlich ging es um ein ehemaliges Mitglied des Ensembles. Dann erinnerte er sich an das Telefongespräch mit Bremer. „Sie sagten doch vorhin, dass Mario etwas aufgeschrieben hat. Was war das denn?“
    Frau Manter schlug einen Notizblock auf und schob ihn vor Manzetti. Er zog den Block zu sich heran und starrte auf das Gekritzel, wie auf ein unlösbares Bilderrätsel. Unzählige Linien, Kreise und Kreuze verteilten sich über das gesamte Blatt. Damit konnte wirklich niemand etwas anfangen. Nur oben in der Mitte waren ganz schwach Ziffern zu erkennen.
    Manzetti schob den Block so zwischen die anderen, dass jeder Marios Schreibversuche sehen konnte, und fragte: „Was kann das bedeuten?“
    Nach einer ziemlich langen Pause beschrieb Sonja, was alle anderen auch erkannt haben mussten. „Ich sehe 1 2 1 0. Davon gehen alle Linien ab, an die sich Kreise und Kreuze anschließen.“
    Sebastian Hendel nickte stumm.
    Manzetti starrte Frau Manter an, die gerade Bremers Brillenetui vor seinem nervösen Zugriff in Sicherheit brachte.
    „Das ist erst der Anfang“, betonte sie in der Hoffnung, Manzetti zu beruhigen, ihm aber auch gleichzeitig weiter Mut zu machen. „Wie Sie wissen, kann Mario weder lesen noch schreiben. Jedenfalls nicht so, wie wir es können. Wahrscheinlich beginnt er ja erst damit, was wir sicherlich Herrn Wagner zu verdanken haben. Vielleicht ist er in der Lage, uns zu helfen?“
    Manzetti sah Sonja auffordernd an: „Hol ihn bitte her!“
    „Wer ist Herr Wagner?“, wollte sie überrascht wissen.
    „Der Zivi aus dem betreuten Wohnen“, erklärte Manzetti und machte eine eindeutige, rotierende Handbewegung, worauf Sonja aufstand und den Raum verließ.
    „Und nun?“, fragte Hendel, der den Notizblock in der Hand hielt. „Es sieht so aus, als habe Mario von dieser Zahl aus alle Linien weggeführt und in einem Feuerwerk enden lassen.“
    Bremer nahm sich den Block. „In einem Feuerwerk? Ich kann kein Feuerwerk erkennen.“
    „Zeigen Sie mal.“ Fast entriss Manzetti Bremer den Block. „Ich auch nicht“, sagte er. „Oder doch. Die Sterne könnten ein Feuerwerk sein … Das meinen Sie doch?“ Er sah wieder zum Intendanten.
    „Ja. Vielleicht hat diese Zahl, wofür sie auch immer stehen mag, etwas bei ihm ausgelöst? Etwas, das mit seinem jetzigen Zustand in Verbindung steht.“
    „Eine Jahreszahl vielleicht?“ Manzetti legte den Block wieder in die Mitte des Tisches.
    Bremer nahm die Hand vom Kinn. „Zwölfhundertzehn. Was war da?“
    Schließlich klappte Frau Manter den Block zu. „Das sind doch alles bloße Spekulationen, die uns nicht weiterbringen. Wir müssen warten, bis er mehr aufschreibt. Nur dann fügt sich unter Umständen ein Bild zusammen.“
    „1 2 1 0.“ Manzetti wollte einfach noch nicht aufgeben. „Wann kann Mario wieder zu den Musikern?“
    „Frühestens morgen“, stellte die Ärztin in Aussicht und trat damit gleichzeitig auch auf die Euphoriebremse.
    „Warum nicht heute?“, stocherte Manzetti unerbittlich weiter.
    „Er ist völlig fertig.“ Bremer beschrieb Mario, dessen Schweiß und die Nervosität, die den jungen Mann mit zunehmender Dauer der 5. Symphonie ergriffen hatte.
    Manzetti hatte das Gefühl, als würde er um Meilen in seiner Arbeit zurückgeworfen werden. Er wollte nicht bis morgen warten.
    Endlich kam Sonja mit dem Zivi, den man sofort vor den Notizblock setzte. Lange blieb Christian Wagner still, während fünf Augenpaare jede seiner Regungen verfolgten. „Mario kann noch keine Buchstaben schreiben“, erklärte er schließlich. „Er kriegt das motorisch nicht hin. Deshalb ersetzen wir beim Üben alle Buchstaben durch Ziffern und Zahlen. Es könnte also 1-2-10 oder 12-10 heißen.“
    Mitten in diesen Satz riss Manzetti seinen Stuhl nach hinten und war mit einem Sprung an seinem Schreibtisch. Er kam mit ein paar Blättern wieder und ordnete sie mit

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