Havelsymphonie (German Edition)
eine Sache nach, die Sie bitte für sich behalten.“ Manzetti guckte zu den beiden Frauen, die ihm genau gegenübersaßen und mucksmäuschenstill lauschten.
„Silbermann, wann kam der nach Brandenburg und wann hat er die Theaterklause gepachtet?“
„Vor fünf Jahren hat er die Klause übernommen, aber wann er nach Brandenburg gekommen ist, weiß ich nicht“, hörte Manzetti ihn sagen. Er bedankte sich und legte auf.
„Das wird euer Job.“ Er sagte zwar euer, schaute aber nur Sonja dabei an. „Ich möchte alles über Silbermann wissen. Wann geboren, wo gelebt, Schule, Freunde, Pornosammlungen. Alles.“ Manzetti schaute auf die Uhr. „Wir treffen uns um zwölf im Präsidium. Bis dahin habt ihr Zeit.“
Dann stand er auf und verließ das Hotel, ohne fertig gefrühstückt zu haben. Es war seine Unruhe, die ihn trieb.
In der Oesterholzstraße stieg er aus dem Taxi und ging die letzten hundert Meter zu Fuß. Er fand das Gebäude genauso vor, wie es Manfred Reinhard beschrieben hatte. Ein düsterer Ziegelbau, umgeben von hohen Mauern, die von einer Kindergang nicht einmal mittels Räuberleiter zu überwinden waren. Und sie wirkten kalt, eiskalt. Diese Mauern hatten zwei Funktionen, war sich Manzetti sicher. Und deshalb wurden sie genau in dieser Höhe gebaut. Sie mussten die gepeinigten Mädchen drinnen und jeden Anflug von Liebe und Wärme draußen lassen.
Er drückte auf die Klingel und wartete. Dann hörte er den Summer und betrat den Campus. Die junge Nonne, eine ausgesprochen hübsche Frau, führte ihn zur Oberin, deren Alter er auf etwa fünfzig schätzte und die ihn mit einem weichen Händedruck empfing.
Manzetti grüßte freundlich und lauschte dann dem Rascheln des Gewandes, als die junge Nonne durch die Tür entschwand. „Ich bin Andrea Manzetti und habe Sie von Brandenburg aus um diesen Termin gebeten.“ Dann fiel sein Blick auf ein Kruzifix, das an der Wand hing und den geschundenen Leib Jesu trug. Daneben sah er eine Stickereiarbeit, mit einer länglichen Rosengirlande, über der die Worte standen: „Ave Maria zart, du edler Rosengart“.
„Herzlich willkommen“, grüßte nun auch die Oberin mit einem lieblichen Lächeln und ließ Manzettis Hand lange nicht wieder los. Auch wenn sie noch längst nicht so alt war, erinnerte die Frau ihn sehr an seine Mutter. Er hätte sich von ihr wahrscheinlich sogar die Nase putzen lassen.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, sich auszuweisen?“, bat die Oberin, ohne ihr Lächeln zurückzuschrauben. Sie verstärkte es sogar noch ein wenig. „Seit die grausame Geschichte dieses Heimes an die Öffentlichkeit geraten ist, tauchen hier pausenlos Reporter auf, die sich mit den abenteuerlichsten Geschichten Zugang verschaffen wollen.“
„Selbstverständlich.“ Er zückte seinen Dienstausweis, und während er ihn zurücksteckte, sah er erneut zum Kruzifix. „Haben die Mädchen genauso gelitten wie er?“
Jetzt richtete auch die Oberin ihren Blick über die Tür. „Ich fürchte, ja, auch wenn ich eine andere Hoffnung in mir trage.“
„Waren Sie auch schon hier, als …“
„Sie meinen, ob ich damals zum Orden der Vincentinerinnen gehörte?“
Manzetti nickte.
„Nein. Der Orden zog sich 1995 aus Dortmund zurück, und erst seit diesem Datum führen wir das Kinderheim.“
„Auch mit katholischen Werten?“
„Ja, natürlich. Aber mit solchen, die ausschließlich dem Kindeswohl dienen.“
Das glaubte Manzetti der Oberin aufs Wort, denn die lärmenden Kehlen der Kinder, die mit leuchtenden Augen gegen eine gemischte Mannschaft aus Nonnen und Erziehern im Innenhof Fußball gespielt hatten, als er von der jungen Schwester hierher geführt worden war, waren eindeutiger Beweis dafür.
„Ich bin auch nicht stolz auf das, was hier passiert ist und ich bin gewillt, Ihnen zu helfen.“ Die Oberin faltete die Hände vor sich. „Wie Sie mir schon am Telefon erzählt haben, geht es Ihnen um ein ehemaliges Heimkind.“
„Ja. Sie ist heute eine erwachsene Frau im Alter von siebenundsechzig. Goldberg. Sie heißt Gisela Goldberg.“
„Ich will Ihnen wirklich helfen, Herr Manzetti. Aber ich glaube, dass Sie zu hohe Erwartungen an mich haben. Über die Zeit, die Sie interessiert, gibt es hier so gut wie gar nichts mehr. Nicht einmal mehr Fotografien der Altsubstanz. Mir scheint, dass man systematisch alles vernichtet hat, was in irgendeiner Form hätte Anklage sein können.“
„Nun, das war ja zu erwarten. Jeder, und warum sollte es bei einer
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