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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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fünfunddreißig Kilometer nach Rathenow bringen sollte. Als er dort aus dem Bahnhofsgebäude trat, empfing ihn die andere Havelstadt mit hellen Sonnenstrahlen. Wie konnte es auch anders sein in einer Stadt, die man mit Fug und Recht die Wiege der deutschen optischen Industrie nennen konnte?
    Er war lange nicht mehr in Rathenow gewesen und deshalb ein wenig überrascht über das, was viele fleißige Hände aus dem einst verschlafenen Städtchen gemacht hatten. Nichts wies mehr darauf hin, dass die Geschichte der Stadt nicht nur von der Optik, sondern auch vom Militär bestimmt war. Garnison um Garnison hatte es hier früher gegeben. Aber das Denkmal des großen Kurfürsten von Brandenburg, das an die Befreiung der Region von den schwedischen Besatzern im Jahre 1675 erinnerte, stand natürlich noch auf dem Schleusenplatz, auch wenn hier kein Militär mehr seine Paraden abhielt.
    Manzetti ging daran vorbei und bog hinter der Schleusenbrücke nach links ab, bis er endlich auf den Kirchplatz kam. Hier fragte er in einem der schicken Fachwerkhäuser nach Frau Kluge.
    „Einen Moment bitte.“ Der junge Mann hinter dem Schreibtisch, auf dem unzählige Materialien des Fremdenverkehrsvereins Westhavelland lagen, verschwand in einem Nebenraum.
    Kurze Zeit später trat eine Frau durch die Tür, die sehr eigentümlich gekleidet war. Sie reichte Manzetti die Hand. „Sie sind bestimmt der Polizeibeamte aus Brandenburg.“
    „Manzetti ist mein Name.“ Er ergriff ihre Hand, konnte aber die Augen nicht von ihrer Kleidung nehmen. Sie bestand aus einem Rock und einer Jacke, beides genäht aus grobem Leinen und in kräftigem Grün gehalten und mit einem lustigen Strohhut gekrönt. Das alles passte aber irgendwie nicht in den November.
    „Ich stelle Frau Harke dar, die Schutzpatronin des Havellandes“, erklärte sie und ließ Manzettis Hand los. „Nachher besucht uns noch eine Schulklasse der Weinberggrundschule, und ich möchte, dass der Geschichtsunterricht etwas anschaulicher wird.“
    „Das wird Ihnen gelingen“, lobte Manzetti den Einfall. „Ich würde mir gerne Ihren Vortrag anhören, fürchte aber, dafür keine Zeit zu haben.“
    „Dann vielleicht ein anderes Mal.“ Sie bot Manzetti einen Platz am zweiten Schreibtisch an.
    „Können wir nicht …“
    Frau Kluge ahnte wohl, was Manzetti bewegte, und legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. „Tim wollte sowieso gerade mittagessen gehen. Dann sind wir ungestört.“
    Manzetti nickte und setzte sich. Aus seiner Tasche holte er das Tagebuch hervor und legte es neben einen Stapel Papier. Als er wieder aufsah, stand eine ganz andere Frau vor ihm. Aus Ingeborg Kluge war jeder Anflug von Fröhlichkeit verschwunden. „Wo haben Sie das her?“, fragte sie mit leiser, bebender Stimme.
    Manzetti war erschrocken. Erst als sie nach dem Tagebuch griff, dämmerte es in ihm.
    „Das ist mein Tagebuch. Wo haben Sie das her?“ Aus ihren Augen drang pures Entsetzen.
    „Es wurde bei Umbauarbeiten in der Oesterholzstraße in Dortmund gefunden. Das war ungefähr vor vier oder fünf Jahren.“
    Sie setzte sich, nahm das Buch in die Hände und hielt es wie einen Karton voller Kellerasseln vor sich. „Davon hat mir Herr Neumann gar nichts erzählt.“
    „Er konnte das Tagebuch sicherlich niemandem zuordnen“, entschuldigte Manzetti den Heimleiter.
    „Es ist meins. Schauen Sie hier.“ Sie blätterte einige Seiten um und zeigte mit zittrigem Finger auf eine Handzeichnung. „Ich liebe noch heute Kornblumen. Von mir aus ein ganzes Feld.“
    „Frau Kluge“, Manzetti musste sich plötzlich räuspern. „Ich habe schon in diesem Tagebuch gelesen. Ich musste es tun.“ Er sah jetzt tief in ihre Augen. Sie nickte mit einer Geste, über die nur liebende Großmütter verfügen.
    „Wir ermitteln in einem Mordfall, der uns in das Heim in der Oesterholzstraße geführt hat und möglicherweise auch zu Ihrer Freundin.“
    „Aha.“ Sie legte das Tagebuch wieder auf den Tisch, ohne es aus den Augen zu lassen. „Und von wem sprechen Sie?“
    „Von einer Gisela, von Gisela Goldberg.“
    Sie sah jetzt nach unten und strich mit der flachen Hand über ihr Tagebuch. „Gisela Goldberg.“ Sie schwieg einen Moment. „Ja, die Gila. Die war anders als wir anderen Mädchen. Gila war schon damals stark.“ Dann sah sie zu Manzetti hoch und fragte: „Wie geht es ihr heute?“
    „Das wissen wir nicht. Sie soll 1965 in die USA ausgewandert sein, aber auch das ist nicht belegt. Es steht aber zu

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