Havelwasser (German Edition)
haben wir ihn in die Havel gekippt. Es war doch schon dunkel, und wir wollten pennen. Wenn die Bullen …“, er unterbrach sich kurz und fuhr mit einer entschuldigenden Bewegung fort, „… ich meine, die geehrten Kollegen von Sie, den vor unsere Penne gefunden hätten, dann wär’s ditt gewesen für die Nacht. Außerdem war der doch schon tot, oder?“ Die hochgezogenen Brauen verrieten, dass er an der Antwort wirklich interessiert war. Und als Manzetti es ihm mit einem kurzen Kopfnicken bestätigte, blies er erleichtert eine gewaltige Menge Luft durch die Nase.
Manzetti konnte die beiden gut verstehen. Sie lebten schon lange nicht mehr in einem Rechtsstaat. Seit Jahren war alles an ihnen vorbeigegangen, jede Regel hatte sie nur am Rande getroffen, und Chancengleichheit war für sie genau so ein Fremdwort wie Vertrauen in dieses Land. Sie wurden hier, wenn überhaupt, nur geduldet, auf keinen Fall aber waren sie willkommen. Warum sollten sie also dem Staat, in diesem Fall der Polizei, helfen? Sie dachten nur an sich und unterschieden sich wenigstens in diesem Punkt kaum von den übrigen Deutschen.
„Ihr zeigt mir jetzt, wo er gelegen hat, und dann reden wir auf der Wache weiter.“ Manzetti bewegte seine rechte Hand auf und ab, was für die beiden so viel hieß wie „Aufstehen“.
„Aber bevor wir uns weiter unterhalten, werdet ihr erst mal duschen, meine Herren“, befahl er und versuchte vergebens, ihren beißenden Geruch wieder aus der Nase zu bekommen.
5
Sonja Brinkmann stand mit Manzetti in der kleinen Kantine der Polizeidirektion und versuchte vergeblich, einen Espresso aus der Kaffeemaschine zu zaubern. Sie schlug drei, vier Mal mit der Faust gegen den Apparat, weil der schon wieder nicht funktionierte und sie dringend etwas benötigte, um sich nach dem langen Arbeitstag wach zu halten, zumal noch weitere Aufgaben auf sie warteten. Verzweifelt warf sie schließlich einige Münzen in den daneben stehenden Automaten und hatte sofort mehr Erfolg. Die mit lautem Knacken geöffnete Colaflasche trank sie in einem Zug gleich halb leer. „Was haben die Eurostücke zu bedeuten?“, fragte sie dann und musste heftig wegen der Kohlensäure aufstoßen. „Entschuldigung.“
„Interessantes Detail“, antwortete Manzetti.
„Ich habe mich doch entschuldigt“, presste Sonja durch schmale Lippen hervor.
Doch Manzetti ging nicht weiter darauf ein. „Wenn jemand dem Opfer Münzen auf die Augen legt, dann hat er Stil und ein beachtliches Maß an Bildung“, sinnierte er ganz in die eigenen Gedanken versunken.
„Damit scheiden unsere drei Penner als Täter aus“, behauptete Sonja im Brustton tiefster Überzeugung und hatte ihren Rülpser bereits unterdrückt.
„Das würde ich so nicht sagen.“ Seine Belehrung wurde von Missfallen für die Anspielung seiner Kollegin getragen, die für seinen Geschmack zu sehr den gängigen Klischees aufsaß. „Ich kenne einen stadtbekannten Obdachlosen, der war früher ein nicht unbedeutender Banker. Sein Fehler bestand darin, dass er die Finger nicht von fremden Konten ließ und dabei erwischt wurde … Es folgten Kündigung, Alkohol, Drogen, eine kaputte Familie und der soziale Abstieg bis auf die Straße, auf der er auch heute noch lebt. Die Bildung aber, die in jenen grauen Zellen lagert, die vom Alkohol bislang noch nicht vernichtet worden sind, die ist ihm deshalb nicht verloren gegangen.“
„Aber die drei sind doch fertig mit der Welt.“ Sonja blieb bei ihrer Meinung und erntete dafür den nächsten strafenden Blick.
„Kennst du ihre Vita?“, fragte Manzetti.
„Das nicht, aber …“
„Wo sind sie eigentlich?“ Er hatte genug von der Unbelehrbarkeit seiner jungen Kollegin und wechselte deshalb lieber das Thema.
„Die duschen immer noch. Da hilft auch keine Kernseife. Übrigens sprechen sie ein furchtbares Deutsch und somit sind sie fernab von durchschnittlicher Bildung, oder?“
„Das trifft dann wohl auch auf einige Polizisten in Brandenburg zu, wenn die mal wieder reden tun“, amüsierte sich Manzetti. Die Anspielung auf so manchen Polizisten überzeugte auch Sonja, denn selbst sie zählte sich zu denen, die fast Schmerzen in den Ohren verspürten, wenn in der Kollegenschaft die Muttersprache malträtiert wurde und immer wieder das unnötige „tun“ auftauchte, etwa wenn ihr jemand versicherte, er „tue darüber nachdenken“.
„Sie kommen aus einem ganz anderen Grund als Täter nicht in Frage“, griff Manzetti den Faden wieder
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