Havelwasser (German Edition)
wechseln wir uns bei der Verantwortlichkeit hin und wieder ab.“ Bremers Kopf rutschte vom stützenden Handballen, und der Arzt hatte sichtlich Mühe, den Schwung abzufangen, bevor er lallend fragte: „Was macht unser gemeinsamer Bekannter?“
„Wenn Sie den Toten aus der Havel meinen, den haben wir so gut wie identifiziert.“ Er erzählte in knappen Sätzen vom Pfarrer und berichtete auch von den Münzen, was bei seinem Gesprächspartner einen anerkennenden Pfiff hervorrief.
„Nicht übel, was? Wenn ich nicht genau wüsste, dass es wieder der Gärtner war, dann würde ich an Ihrer Stelle einen griechischen Philosophen verdächtigen. Wir Deutschen sind dafür nämlich zu steif. Bei uns sind auch die Tötungsvarianten genormt, und da bleibt kein Raum für die Mythologie alter Völker.“ Bremer konnte nicht verhindern, dass ihm beim Feixen über seine eigenen Sätze ein dünner Faden Speichel aus dem Mund lief.
„Fallen Sie nicht noch mehr in Ungnade, Bremer“, gab Manzetti mitleidig als Rat und erhob sich.
„See you later, altes Haus“, sagte Bremer, während er den vor ihm auf der Tischplatte liegenden Tropfen mit der flachen Hand breitwischte. „Manzetti!“, rief er dann noch, ohne den Polizisten dabei anzusehen. „Er hat ihm die Wasserfrage gestellt.“
„Er hat was?“ Manzetti drehte sich noch einmal um. Dann setzte er sich zu Bremer. „Was ist die Wasserfrage?“, fragte er, neugierig geworden.
„Interessant, oder? Da bleibt selbst ein so kultivierter Mann wie Sie bei einem besoffenen Arschloch sitzen.“
„Bremer, warum erzählen Sie nicht einfach Ihre Geschichte?“
Der Mediziner hielt Manzetti das leere Glas hin und versuchte vergebens, die Sehschärfe seiner Augen darauf einzustellen. Auch die Pupillen gehorchten ihm offensichtlich nicht mehr.
Manzetti nickte, was beim Kellner ein breites Grinsen auslöste. Eine Minute später hatte Bremer ein volles Glas und begann, endlich zu berichten. „Ich habe noch etwas in seiner Nase gefunden.“ Dann machte er schon wieder eine Pause, während der er versuchte, seinen Gesprächspartner mit den Augen zu fixieren.
„Und was wäre das?“, forderte Manzetti ungeduldig.
„Stoff. Jede Menge Stoff.“
„Kokain, Heroin …?“
Bremer winkte ab. „Nicht doch, Commissario. Nicht immer gleich an derartige Niedertracht denken. Ich habe ganz normalen Stoff gefunden. Mullbinden!“ Wieder feixte Dr. Bremer wie ein verrückt gewordener Komiker, aber dieses Mal mit geschlossenem Mund.
„Mullbinden?“
„Genau. Mullbinden. Und wenn ich Ihre Schilderung von den Münzen in Betracht ziehe, dann haben Sie es mit einem Geschichtslehrer zu tun, der nunmehr als Gärtner arbeitet.“ Bremer streckte seinen rechten Zeigefinger Obacht gebietend vor den Augen Manzettis in die Höhe. „Denn der Mörder ist immer der Gärtner.“
„Bremer, kann es sein, dass Sie langsam Ihren gesamten Verstand versoffen haben?“
Der Arzt schüttelte wild mit dem Kopf, so dass ihm die Brille herunterfiel. Manzetti hob sie auf und legte das gute Stück auf den Tisch.
„Ich habe Feierabend und da darf auch ich ohne Verstand rumlaufen. Manche machen das in dieser Stadt sogar während der Arbeitszeit und werden dafür verbeamtet“, antwortete Bremer. Es folgte erneut ein kurzes, höhnisches Lachen.
„Was ist denn nun die Wasserfrage?“
„Die Wasserfrage? Das können Sie als Italiener nicht wissen …“
„Halbitaliener“, korrigierte Manzetti leicht angesäuert über diese dämliche Bemerkung. Er war zwar nicht hier geboren worden, doch von seinen fünfundvierzig Lebensjahren hatte er mehr als zwei Drittel in Deutschland verbracht. Trotzdem war er für einige seiner Mitmenschen immer noch ein Fremder. „Meine Mutter ist Italienerin, und mein Vater war deutscher Diplomat“, schob Manzetti deshalb energisch nach.
„Egal“, lallte Bremer. „Trotzdem reicht das bisschen deutsches Blut in Ihren Adern nicht aus um zu wissen, was die Wasserfrage ist. Ich will es Ihnen erklären“, kündigte Bremer an, kippte aber vorher noch den Inhalt des Colaglases in sich hinein. „Die Wasserfrage stammt schon aus dem Mittelalter, und ich muss zugeben, dass sie bis heute ziemlich stark in Vergessenheit geriet. Dabei werden Stofffetzen in Mund und Nase eingeführt und langsam mit Wasser begossen. Das führt dazu, dass der Stoff aufquillt und sehr langsam, aber todsicher die Atemwege verschließt. Ergo eine sehr brutale, aber besonders effektive Foltermethode. Vielleicht
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