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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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Dienstausdruck in seinem Gesicht passte nicht so recht zu seinem flotten Spruch, mit dem er Manzetti begrüßt hatte. Er war ihm wohl schon zur Floskel geraten. Dann entspannte er sich und entließ ein leichtes Lächeln. „Setzen Sie sich doch, Herr … wie ist gleich Ihr Name?“
    „Manzetti, Andrea Manzetti.“
    Der Direktor griff nervös nach einer fast runtergebrannten Zigarette und inhalierte den Qualm wohl bis in die letzte Ecke seiner Lunge. Die Möbel in diesem Raum hatten die besten Jahre bereits geraume Zeit hinter sich. Auch die Einbände der Bücher, die neben Manzetti in einem Regal aufgereiht standen, litten unter dem Hundertfachen an Lesungen, die ein herkömmliches Buch vertrug. Wo blieb eigentlich die versprochene Geldspritze des Bildungsministeriums?
    „Herr Manzetti, in welche Klasse geht Ihr Kind, und welche Probleme gibt es da?“ Die Frage war sehr monoton und ohne wirkliches Interesse vorgetragen.
    „Ich komme beruflich. Und von der hiesigen Polizei“, wiederholte sich Manzetti. „Die Kinder überlasse ich Ihnen.“ Dabei klammerte er in Gedanken Lara und Paola entschieden aus.
    „Von der Polizei, aha.“
    „Ich interessiere mich für einen Ihrer Kollegen.“
    Jetzt setzte sich Dreher gerade in seinen Sessel, und in seinen Augen lag endlich ein wenig Aufmerksamkeit.
    „Einen Kollegen also. Und wie heißt der?“
    „Becker. Martin Becker.“
    Drehers Kinn fiel auf die Brust, und als er wieder nach oben schaute, schwammen Tränen in seinen Augen.
    „Becker. Geschichte und Kunst. Lebt aber nicht mehr, wie Sie sicher wissen.“
    „Deshalb bin ich hier. Was können Sie mir über Martin Becker sagen?“
    Dreher antwortete nicht gleich. Er beugte sich ein wenig nach unten, um eine Tür in seinem Schreibtisch zu öffnen, entnahm ihm eine Flasche Grappa und stellte zwei Gläser auf den Tisch. „Wollen Sie auch einen?“
    Manzetti überlegte einen Moment, antwortete dann aber mit ja, obwohl er über das Angebot höchst verwundert war.
    „Salute“, prostete Dreher seinem Gast zu und trank das Glas aus. Mit einer gekonnten Handbewegung goss er es wieder voll und wartete auf Manzetti, um auch ihm nachzuschenken.
    „Danke“, sagte der. „Der eine reicht mir.“
    „Becker. Ja, … eigentlich ein fähiger Mann. Dachte ich jedenfalls. Kam aus Namibia zu uns, wo er drei oder sechs Jahre war. Ich weiß das nicht mehr so genau.“ In Drehers Augen schimmerten immer noch Tränen. „Meine Sekretärin kann Ihnen das morgen ganz genau sagen.“ Er setzte sein Glas an die Lippen und kippte den Inhalt mit einer ruckartigen Bewegung in sich hinein.
    Manzetti bereute auf der Stelle, dass er diesen Gang getan hatte. Was sollte ihm dieser Mensch schon sagen? Er versuchte es trotzdem: „Hatte Becker Feinde? War sein Verhalten irgendwie auffällig?“
    „Sie meinen, ob er sich mit jemandem anlegte?“ Drehers Augen wurden etwas wacher. Er wischte seine Tränen mit dem Zeigefinger breit.
    „So in etwa.“
    „Ich glaube nicht. Jedenfalls nicht im Kollegium. Er war ruhig und er wollte nur noch bis zum Schuljahresende hier arbeiten.“
    „Warum das?“
    „Das hat er mir nicht gesagt. Ich denke, das hatte private Gründe. Ach, ich bin erledigt, Herr … wie ist doch gleich Ihr Name?“
    „Manzetti“, antwortete er gelassen und wartete auf eine weitere Erklärung des Lehrers.
    „Sie müssen schon entschuldigen, aber das war heute alles ein bisschen viel. Ich trinke ansonsten nicht. Nur wird es das wohl mit unserer schönen Schule gewesen sein.“ Dreher goss sich erneut ein.
    „Wieso. Was ist denn passiert?“ Manzetti fragte das, weil er vor einigen Jahren auch hier hospitiert hatte, als es darum ging, für Lara ein passendes Gymnasium zu suchen. Ihre Wahl war auf das Von-Saldern-Gymnasium gefallen, weil es dichter an ihrer Wohnung lag. Die Geschichten mit den Drogen und anderen kleinen Gaunereien, die ihm von Kollegen zugetragen worden waren, hatten bei dem Entschluss überhaupt keine Rolle gespielt, weil sie wohl alle drei Gymnasien gleichermaßen betrafen.
    „Was passiert ist? Das fragen Sie noch? Ein Kollege ist ermordet worden. Das ist passiert.“ Dreher schniefte durch die Nase und trank. „Keine Sau schickt mehr seine Kinder an unsere Schule, und wir sind unausweichlich die Nächsten, die dichtgemacht werden.“
    Manzetti hatte schon viel über Schulschließungen gehört, allerdings war das bislang für ihn sehr weit weg. „Wegen eines toten Lehrers?“
    Dreher schwieg. Nur seine Augen

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