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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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redeten, und Manzetti ahnte, dass da noch mehr war.
    „Sie verlieren doch aber dann nicht Ihren Job, Herr Dreher.“
    Der schaute Manzetti jetzt finster an. „Das nicht, aber darum geht es doch gar nicht. Wenn diese Schule schließt, dann haben wir weniger Plätze für potenzielle Abiturienten, und was einmal weg ist, das werden unsere politischen Würdenträger auch nicht wieder rausrücken. Auch nicht, wenn wir in Pisa den letzten Platz belegen. Die Schüler, Herr …“
    „Manzetti“, ergänzte er noch einmal.
    „… Herr Manzetti, die Schüler, die zahlen die Zeche. Ich bin dabei so egal, wie es nur irgend geht.“
    Das kam selbst für Manzetti überraschend. Er dachte bisher mit Dreher einen jener Lehrer vor sich zu haben, die vor Selbstmitleid arbeitsunfähig sind und Schulen nur betraten, wenn die Schüler in den Ferien waren. So konnte man sich täuschen.
    „Noch ist es nicht so weit“, tröstete er. „Kommen wir zurück zu Herrn Becker. Gibt es jemanden in der Schule, dem er sich anvertraut hat? Jemanden, der mehr über seine private Situation weiß?“
    Der Direktor zögerte. „Nein. Da ist niemand.“
    „Wann kann ich mit Ihren Kollegen selbst reden?“
    „Morgen vielleicht. Aber ich fürchte, das wird keinen Sinn haben.“
    Das dachte Manzetti auch. Wenn die genauso drauf waren wie ihr Chef, konnte er nicht mit Antworten rechnen.
    „An welche Schule wollte sich Becker denn versetzen lassen?“
    Dreher lehnte sich in seinem Sessel zurück und zündete eine neue Zigarette an. „An keine. Er wollte aus dem Schuldienst ausscheiden.“
    „Ganz ohne Ersatzbetätigung? Wovon wollte er denn leben?“ Manzetti verschwieg die Million auf Beckers Konto.
    „Ich weiß es nicht“, sagte Dreher resigniert.
    „Kennen Sie seine Frau?“
    „Nein. Becker kam auch zu Festen immer allein. Ich dachte, die Beckers lebten getrennt …?“
    „Hatte er vielleicht ein Verhältnis mit einer Kollegin? Oder mit einer Schülerin?“ Manzetti stocherte zwar bloß so umher, fragte nur so ins Blaue hinein, aber das war ein Volltreffer.
    Dreher bückte sich wieder und öffnete erneut seinen Schreibtisch.
    „Jetzt ist sowieso nichts mehr zu retten. Sie werden es höchstwahrscheinlich doch erfahren. Hier.“ Er legte ein Blatt Papier auf den Tisch, bei dessen bloßem Anblick Manzetti kalter Schweiß den Rücken entlanglief.
    Es war nicht nur der Inhalt. Es war auch die Schreibtechnik. Viele aufgeklebte Buchstaben, alle in unterschiedlicher Größe und fein säuberlich aus Illustrierten ausgeschnitten.
    WIE BECKER WIRD ES ALLEN KINDERFICKERN GEHEN!!!
    Er nahm den Zettel, sicherte Dreher so weit wie möglich Diskretion zu, verabschiedete sich und ging zurück in die Direktion. Er musste nachdenken. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren. Wenn das in die Presse geriet, dann würde der Druck so groß werden, dass normale Ermittlungen nicht mehr möglich waren.
    Dieser Fall nahm Dimensionen an, die Manzetti anfangs nicht für möglich gehalten hatte. Ein Lehrer, der sich an seinen Schülern verging, und vielleicht auch ein Pfarrer, der von zu vielen jungen Messdienern umgeben war? Da sie in beiden Mordfällen schon so viele identische Merkmale aufgedeckt hatten, ahnte er, welche nächste Information zu ihm dringen würde.
    Hier schien jemand mächtig und brutal aufzuräumen. Aus Opfern wurden plötzlich Täter, hingerichtet zwar, aber viel Mitleid konnten sie posthum wahrscheinlich nicht mehr erwarten.

11
    Donnerstags war Vatertag. Jedenfalls bei Manzettis. Es war der einzige Tag der Woche, an dem Kerstin eine Stunde früher in der Bank begann, und so hatte er sich um all die morgendlichen Pflichten und um die Kinder zu kümmern.
    Allerdings nur eigentlich, denn beide Mädchen waren bereits von ihrer Mutter geweckt, die Sachen für Paola lagen auf einem Stuhl, und das Frühstück, einschließlich Schulbroten und Obst, war längst bereitet. Blieb für den Mann im Haus nur eine verantwortungsvolle Tätigkeit, die er für gewöhnlich mit links meisterte. Er musste auf dem Weg zur Direktion Paola am Kindergarten abgeben.
    „Aufstehen, meine Damen“, rief Manzetti in den Flur und ging zuerst ins Zimmer von Lara. „Aufstehen“, rief er noch einmal und mit ungeminderter Lautstärke, obwohl er nun direkt neben seiner großen Tochter stand. Er fasste die warme Bettdecke am Fußende und zog sie von Lara herunter, bis die Decke auf die Erde glitt. Bereits wieder im Flur, vernahm er den Kommentar seiner Großen. „Ich hasse

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