Havelwasser (German Edition)
geraumer Zeit auch entließ.
Am Ende des kleinen Havelarms lenkte er den glänzenden Bootskörper nach Steuerbord und hielt auf den Beetzsee zu. Die Seen um Brandenburg waren das Gold seiner Heimatstadt, und wie so oft hatte es leider sehr lange gedauert, bis den Stadtoberen das klar geworden war. Nun buhlten sie mit anderen Orten der Mark Brandenburg um die verlorenen Touristen, um die Wassersportler und Freizeitkapitäne aus Berlin und Potsdam.
Als er die Fahrrinne des Silokanals passierte, stellte er den Elektromotor aus und setzte das weiße Segel. Die Wellen plätscherten gegen den Bug, und das strenge Knattern des Segeltuches im Wind vertrieb seine düsteren Gedanken. Mit jedem Meter, den sich der schlanke Bootskörper durch das nervöse Wasser schnitt, entfernte er sich von Claasen und Gutendorf, von deren Gesichtern, von deren Gedanken, von ihrem Streben nach Macht und vor allen Dingen von ihren Rechtsvorstellungen und kehrte zu seinen eigenen zurück.
Als er die Pinne umlegte, schlug das Segel um, und das Boot neigte sich so weit, dass seine Hände ohne Mühe ins Wasser greifen konnten. Er war jetzt wieder besser drauf und konnte ohne Probleme zurückfahren. Kurz vor dem kleinen Hafen, in dem die „Königin der Nacht“, wie Kerstin und er ihr Boot in Anspielung auf Mozart getauft hatten, ihren Liegeplatz hatte, zog er das Schwert ein und holte sein Handy aus der Tasche. Er wählte die Nummer der Direktion. Dort orderte er einen Fahrer des Dauerdienstes und verabredete sich in der Hammerstraße.
Manzetti musste nicht lange warten, schon bald fuhr ein VW-Passat vor und hielt neben ihm. „Wohin soll’s gehen, Herr Hauptkommissar?“, fragte Köppen, mit dem er schon einmal in diesem Fall zu tun hatte. Er ließ das Auto langsam vorwärtsrollen, ohne sich dabei in den fließenden Verkehr einzuordnen.
„Erst nach Potsdam, und da entscheiden wir dann weiter.“ Manzetti wollte in das Pfarramt, sich dort mit Mitarbeitern unterhalten und die Vita von Fred Weinrich aufdecken. Er überlegte, wie er seine Vermutung formulieren konnte, ohne die Kirchenvertreter, die schreckhaft genug waren, vor den Kopf zu stoßen. Aber irgendwo in seinem Hirn nistete der Glaube, dass auch sie einen ähnlichen Brief erhalten hatten wie der Schulleiter Dreher.
„Autobahn oder Landstraße?“, fragte Köppen weiter, er musste sich für eine Richtung entscheiden.
„Autobahn“, antwortete Manzetti. „Das geht wohl schneller.“ Dann vertiefte er sich wieder in seine Gedanken, suchte nach einem roten Faden für die zu führenden Gespräche.
Als der Passat am Mühlentorturm ankam, wandte sich Manzetti erneut an Köppen. „Wenn Sie Drogen beschaffen müssten, an wen würden Sie herantreten?“
„Kommt drauf an, welche Sorte ich bräuchte.“ Der Beamte antwortete, ohne lange zu überlegen.
„Ist das von solcher Bedeutung?“
„Das und die Menge.“
Manzetti dachte kurz nach und formulierte dann präziser. „Kokain und eine kleine Menge für einen Abend. Sagen wir für eine Party mit netten Freunden.“
Köppen sah Manzetti leicht befremdet an.
„Nicht für mich, Kollege Köppen. Aber ich frage mich, wo es hier reines Kokain gibt.“
„Haben wir noch einen Moment Zeit?“
„Wofür?“
Ohne auf eine Antwort zu warten, wendete Köppen den Passat auf der Kreuzung. Er fuhr am Dom vorbei, über Grillendamm und die Hohmeyenbrücke, bis er nach circa zehn Minuten im Stadtteil Hohenstücken ankam. Es war jene Trabantenstadt, die uniforme Straßenzüge aufwies und wo es weder größere noch kleinere Gewässer gab, was für Brandenburg ganz außergewöhnlich war. Es ging vorbei an grauen Betonklötzen, die, je weiter sie zum Kern von Hohenstücken vordrangen, immer mehr mit schlechten Graffiti beschmiert waren.
In einer Sackgasse hielt Köppen an und zeigte mit der linken Hand auf ein Haus. „Hier bin ich groß geworden, und meine Eltern leben noch immer im vierten Stock.“
Manzetti verstand diesen kleinen Ausflug nicht und wollte schon die Weisung geben, nun endlich nach Potsdam zu fahren, als Köppen fortfuhr. „Hier wohnt auch ein ehemaliger Schulkamerad von mir, mit dem ich beim BSC Süd in Kinder- und Jugendmannschaften Fußball gespielt habe. Bis Axel auf die schiefe Bahn kam und im Jugendarrest landete.“
„Lassen Sie uns weiterfahren“, bat Manzetti, dem für solche Kindheitserinnerungen im Moment nicht der Sinn stand.
„Nur fünf Minuten, Herr Hauptkommissar. Meine Eltern sagten mir, dass Axel mal
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