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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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hinab, so wie der Bundespräsident im großen Beratungsraum von Claasen.
    Dann fragte er sich, ob er in diesem Raum gerne arbeiten würde, und kam zu einem nüchternen Ergebnis. Wohlfühlen könnte er sich hier sicherlich nicht, denn Wohnlichkeit oder wenigstens ansatzweise vorhandene Gemütlichkeit vermittelte das Zimmer überhaupt nicht. Aber das wollte er dann doch nicht zu seinem Problem machen.
    Ein großer Stuhl fiel ihm auf, der irgendwie einsam in einer Ecke postiert war, gleich einem frechen Jungen, den der Pfarrer vielleicht zur Strafe dorthin gestellt hatte. Der Stuhl war mit einem grünen, abgewetzten Stoff überzogen, hatte zwei Arme, die auf Hochglanz poliert waren, und eine Lehne, an deren Ende links und rechts zwei geschnitzte Kugeln prangten, die aussahen wie kleine Lautsprecher einer Stereoanlage. Was könnte dieser Stuhl, der vermutlich sein Leben lang in dem Pfarramt gestanden hatte, nicht alles erzählen. Aber würde Manzetti, der Atheist, das überhaupt verstehen?
    Als er vom Schreibtisch eine Mariafigur in die Hände nahm, kam ein etwa sechzigjähriger Mann herein. Manzetti stellte Maria wieder hin und trat auf den Mann zu, reichte ihm die Hand. „Mein Name ist Manzetti und ich komme von der Polizei aus Brandenburg“, wiederholte er seine Vorstellung von vorhin.
    „Guten Tag, Herr Manzetti“, erwiderte der Mann den Gruß und ergriff mit einer weichen und kraftlosen Hand die des Polizisten, während er sich selbst vorstellte. „Hartung. Ich bin hier der Pfarrer.“
    Damit hatte Manzetti nicht gerechnet. Hätte er die Auskunft von Köppen überprüfen sollen? War er in dieser Gemeinde falsch, gehörte Pfarrer Weinrich gar nicht hierher? „Sie sehen mich überrascht, Herr Pfarrer.“ Manzetti machte aus seiner Verwirrung kein Hehl und stierte mit vor Peinlichkeit geweiteten Augen auf den Geistlichen.
    „Überrascht? Warum? Kommen Sie nicht wegen des Todes von Fred Weinrich?“
    Manzetti war erleichtert, diesen Namen hier zu hören. „Doch, doch. Ich glaubte nur, dass Herr Weinrich der Pfarrer wäre.“
    „Nein. Weinrich war Diakon. Er war dabei, sich hier die letzten Sporen zu verdienen, um es in Ihrer Sprache auszudrücken, bis er die Ordination zum Priester erfahren sollte.“
    Diakon, dachte Manzetti. Wenn er sich richtig erinnerte, dann bekamen zwar Diakone auch so etwas wie eine Weihe, aber die war wohl nur eine Vorstufe zum Priesteramt. Weinrich hatte also in der kirchlichen Hierarchie noch ganz unten gestanden.
    Hartung schien die Gedanken Manzettis zu lesen, denn er kam dessen nächster Frage zuvor. „Diakon Weinrich stand wirklich kurz davor, die Priesterweihe zu empfangen. Er sollte sie wegen seiner außerordentlichen Leistungen aber im Petersdom erhalten. Nur deshalb war er noch Diakon. Aber setzen wir uns doch.“ Er deutete auf den Stuhl am Fenster, so dass Manzetti seinen Kopf zwischen den beiden „Lautsprechern“ postieren konnte, und setzte sich selbst auf den kargen Holzstuhl an der Wand. Über ihm prangte das Kreuz mit dem blutverschmierten Jesus.
    „Ich habe mir erlaubt, eine Erfrischung bereiten zu lassen“, sagte Hartung, nachdem das Knarren des Stuhls verklungen war. „Ich hoffe, Sie mögen kalte Limonade?“
    Manzetti nickte, obwohl das glatt gelogen war, denn alle Getränke mit viel Zucker waren ihm widerlich. Er konnte aber nicht den Mut aufbringen, nach kaltem Rosé zu fragen, und ersparte sich deshalb eine Entgegnung.
    Dazu war es in diesem Moment sowieso zu spät, denn die Tür öffnete sich erneut, und ein etwa fünfunddreißigjähriger Mann in Soutane trug ein Tablett herein. Eigentlich hatte Manzetti hierzu die alte Frau erwartet.
    „Guten Tag“, sagte der zweite Geistliche und jonglierte das Tablett ungeübt und steif zum Schreibtisch. Erst jetzt registrierte Manzetti, dass Hartung zivile Kleidung trug.
    „Das ist Pater Johannes“, stellte Hartung den jungen Mann vor und erklärte ihm: „Herr Manzetti kommt von der Polizei aus Brandenburg. Er untersucht den Tod von Diakon Weinrich.“ Dann griff er nach einem Glas und forderte die anderen beiden auf, es ihm nachzutun.
    „Buon giorno“, wiederholte Pater Johannes seinen Gruß auf Italienisch. Er taxierte Manzetti von oben bis unten, zwang sich ein kaum sichtbares Lächeln ab und setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl.
    „Pater Johannes ist viel in der Welt herumgekommen und nunmehr beim Heiligen Vater in Rom“, erläuterte Hartung. „Deshalb spricht er Ihre Sprache. Ich dagegen bin

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