Havelwasser (German Edition)
angemessenen Art und Weise diesen bedauerlichen Vorfall verursacht hat, glaube ich, dass Sie nicht sofort zu solch harten Repressionen greifen sollten.“ Der Anwalt sprach zwar mit Claasen, hatte dabei aber Manzettis Augen fest im Blick, als ob er dem Hauptkommissar jedes einzelne Wort in dessen Gehörgang injizieren wollte.
„Verwarnen Sie Ihren Mitarbeiter gebührend und lassen Sie ihn zur Bewährung weiter an dem Mordfall arbeiten“, empfahl Gutendorf zu Manzettis Überraschung, allerdings mit eiskalten Augen. „Ich glaube, dass ich meinen Sohn davon überzeugen könnte, von einer Strafanzeige abzusehen, auch wenn die Verletzungen, insbesondere die seiner zarten Seele, von erheblicher Natur sind.“
Gutendorf drückte Claasen die Hand und erteilte ihm einen letzten Rat. „Halten Sie Ihren Mitarbeiter während seiner Bewährung unter Kontrolle, lieber Claasen. Er wird Ihnen und Ihrem grandios geführten Haus, wenn ich das sagen darf, ansonsten zu einer steten Gefahr.“ Dann verließ er den Raum, im Bemühen, die Anwesenheit Manzettis in offensichtlichster Form zu ignorieren.
Claasen, der durch die Lobhudelei des Anwalts mit geschwollener Brust dastand, schickte einen sehr bösen Blick in Richtung Manzetti. „Sie müssen verrückt sein, Sie mit Ihrem italienischen Blut. Kriegen Sie sich denn nie in den Griff?“
„Herr Direktor, …“
„Hören Sie auf, Manzetti. Ich will nichts mehr hören. Jedenfalls nicht von Ihnen und schon gar nicht in dieser Angelegenheit.“
„Aber, das …“
„Nichts aber. Sie können von Glück reden, dass der verehrte Anwalt Gutendorf auch Mitglied im rotarischen Klub ist und vielleicht deshalb aus Rücksicht auf meine Stellung von einem Eklat absieht.“
„Aber das hat sich wirklich ganz anders abgespielt.“
„Manzetti, jetzt hören Sie mir mal gut zu“, brüllte Claasen los und machte einen Schritt nach vorne. „Auch wenn Ihr Vater ein deutscher Diplomat war und Ihre Mutter dem italienischen Adel angehört, so haben Sie doch wenig von diesen Möglichkeiten profitiert. Sie benehmen sich zum Teil wie ein sizilianischer Dorftrottel und zeigen nicht die notwendige Achtung vor dem Erfolg anderer.“
Dann setzte er sich wieder hinter seinen Schreibtisch, ließ Manzetti aber dieses Mal stehen. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte, denn jetzt sprach Manzetti zu ihm herab, so wie es Gutendorf vorhin mit ihm getan hatte.
„Vor dem Erfolg anderer habe ich schon Achtung, wenn auch nicht vor jeder Tätigkeit und schon gar nicht, wenn das Ergebnis dieser Tätigkeit ab und zu auf meinem Tisch landet. Aber dieser Jüngling schlug mir ein Eis aus der Hand.“ Er unterbrach sich, denn das war sicherlich der falsche Zungenschlag.
Und Claasen griff den auch prompt auf: „Wegen einem Eis?“, trompetete der heraus.
Manzetti dachte in diesem Moment nur, dass offensichtlich auch in der sogenannten ehrenwerten Gesellschaft der Dativ dem Genitiv sein Tod war.
„Wegen einem Eis haben Sie den Jungen geschlagen? Ich sollte Sie wirklich suspendieren, Manzetti. Wirklich. Danken Sie Herrn Gutendorf dafür, dass es vorerst nicht dazu kommt. Vorerst, Manzetti.“ Claasen trommelte mit den Fingerspitzen auf seinem polierten Schreibtisch herum und winkte dann mit einer Hand zur Tür. „Und jetzt gehen Sie. Ich kann Sie nicht mehr sehen. Gehen Sie endlich.“
Manzetti öffnete die Tür und sah nur kurz zu Frau Freitag, bevor er auf den Flur trat. Er war in Rage und musste die schleunigst loswerden, weil er ansonsten zu unüberlegten und vielleicht wirklich süditalienischen Reaktionen neigte. Nicht der Umstand, dass man ihn für die Ohrfeige anklagen wollte oder ihn sogar suspendieren könnte, ärgerte ihn, sondern diese eigenartige Vorstellung von einem Rechtsstaat, in dem selbst hochrangige Vertreter dem Beschuldigten kein Gehör einräumten, weil es offensichtlich darum ging, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Justitia, hier muss deine Augenbinde verrutscht sein.
13
Manzetti fuhr mit der Straßenbahn bis zum Packhof und lief von dort zu einem kleinen Hafen. Hinter den Häusern, in denen sich wunderschöne Lofts befanden, fühlte er sich schnell unsichtbar und wunderbar allein. Allein mit sich und seinem Gram über Gutendorf und Claasen.
Trotz der fast dreißig Grad fröstelte es ihn und er schlug das Sakko enger um den Körper. Auf dem Steg kramte er sein Schlüsselbund hervor und suchte nach dem Schlüssel, der sein Boot freigab. Nur hier konnte er in die ersehnte
Weitere Kostenlose Bücher